ohne deutschen Start
Die hohe Kunst von Heath Jones’ Langfilmdebüt ist es, mit einer echten Unsympathin als Hauptfigur einen bewegenden Film hinzulegen und obendrein mit ihr zu fühlen. Hut ab. Allerdings sind die authentischen Darbietungen in „Grace“ – nicht zu verwechseln mit dem gleichlautenden Dämonenschocker „Grace – Besessen“ – einfühlsam in ein undidaktisches, psychologisch superbes Konzept einer Lebenstherapie eingebettet.
Ungleich Mary Elizabeth Winstead in der Sucht-Dramödie „Smashed“ will Grace (Annika Marks, „The Sessions“) nicht mit dem Trinken aufhören. Sie lügt und klaut, ist undankbar, unfreundlich, ein elendes Ekel und manipulatives Miststück, eine verantwortungslose Leugnerin, die seit dem Tod ihrer ebenfalls alkoholsüchtigen Mutter tief drinnen herzgebrochen traurig ist, die Schuld aber bei allen anderen sucht, nur nicht sich selbst.
Der attraktive Twen befindet sich im Lindsay-Lohen-Sinkflug und strandet im Café von Sonia (Sharon Lawrence aus „Rizzoli & Isles“ mit einen Hauch von Susan Sarandon), die seit 11 Jahren trocken ist und sich mütterlich um sie kümmert. Grace’s Vater hat genug den Eskapaden seines Töchterchens, die besoffen randaliert und im Knast landet, wo sie die Auflage erhält, an den Treffen der Anonymen Alkoholiker teilzunehmen.
Anstatt aber Hilfe anzunehmen, bleibt sie allem und jeden gegenüber feindselig, missbraucht Sonias Obhut, weiß alles besser und hält andere für Loser, obwohl sie selbst der größte ist. Kurzum: Sie ist weit davon entfernt, erwachsen zu werden. Sie fixiert sich auf den Flirt mit einem Surfer-Beau – doch die Lovestory ist Teil ihres Problems, nicht der Lösung. Diese Verhaltensneurose beobachtet Jones wie beiläufig, aber sehr genau.
„Grace“ ist weder hart noch depressiv, sondern angesiedelt im milden Kurklima eines sonnigen Strandstädtchens, wo man sich kennt. Viele sind sehr nett zu Grace und Jones legt Wert auf zielgruppenaffine Musikauswahl. Sein Suchtdrama wäre noch besser geworden, wenn er auf ein paar Feel-Good-Frauenfilm-Elemente verzichtet hätte. Aber sein Thema und seine Figuren nimmt er sehr ernst, er federt die Folgen stilistisch nur etwas ab.
Und Frauen stehen im Vordergrund: Viele Reifere erzählen von ihren schmerzhaften Fehlern, ein Säuferin-Wrack dient als abschreckendes Beispiel für die Zukunft der Gardinenpredigt-resistenten Grace, die solange mit ihren Lügen und Wahrheiten konfrontiert wird, bis ihre tiefsten Wunden schonungslos offen liegen. Seelisch echt und gewiss nicht schultherapeutisch lernt sie durch Zuwendung allmählich Vertrauen und Selbstliebe.
imdb ofdb