Kinostart: 22.03.2018
Norwegens (nicht in die Shortlist aufgenommener) Auslandsoscarvorschlag „Thelma“ ist eine vieldeutige, faszinierende und herzergreifend empathische Charakterstudie um die Befreiung aus elterlicher Unterdrückung, wobei das paranormale Phänomen als Katalysator und Metapher zugleich fungiert. Die Überwindung psychischer Kontrollgewalt birgt viele Storyelemente aus „Carrie“, nicht zuletzt die religiöse Unheilsstimmung.
Gott sei Dank kumuliert Joachim Triers vierter Film aber nicht in plakativem Wahn respektive Blutbad, sondern ist viel komplexer und mehrdeutiger. Sein übernatürlicher, gleichwohl psychologischer Liebesthriller mit bezwingend mysteriöser Atmosphäre punktet mit Hintergründigkeit und intelligenten, deswegen nicht weniger schockierenden Enthüllungen um unkontrollierbare weibliche Kräfte, die so verstörend wie wunderbar sind.
„Thelma“ ist zugänglicher und berückender als Triers sehr autorenfilmartige, übertrieben arthausige Vorgänger „Louder Than Bombs“ und „Oslo, 31. August“. Hier lässt er uns nahe an die von Eili Harboe („The Wave“) authentisch gespielte Figur, taucht in ihr Denken und Fühlen ein, ihr mentales Gefängnis, in das sie ihre manipulativen Eltern gesteckt haben. Das muss von Thelma, die nichts anderes kennt, erst als solches begriffen werden.
Auch zum thematisch ähnlichen, dänischen Horrordrama „When Animals Dream“ gibt es Parallelen, gleichwohl geht Trier eigene Wege – und nicht den eines Genrefilms. Die schweren inneren Konflikte seiner Protagonistin, in totaler (Sozial)Kontrolle und sexueller Repression gehalten, schlagen emotional heftig durch. Wenn sich Bedürfnisse im Zuge der mentalen Loslösung vom Elternhaus Bahn brechen, geschieht dies auch symbolisch.
Es regieren der Suspense, das Ominöse und Mysteriöse, das einerseits auch konkret fassbar wird in christlichem Fundamentalismus, Schuld und Sühne, Geschwistermord und Homosexualität, andererseits den Weg eines Entwicklungsdramas wählt, sich nie auf nur eine Lesart festlegt. In den kargen, kühlen Einsamkeits-Kadragen kochen Gefühle hoch – diese Emotions-Eruption wirken ebenso intensiv nach wie die vielen Ambivalenzen.
imdb ofdb