Genau das Komplement zur seichten Happy-Kiddie-Lüge „Rio 2“ hat Luiz Bolognesi, Dokumentarfilmer und Co-Drehbuchautor von „Birdwatchers“ und „Amazonia“, in seinem kühl-erschütternden Abriss von 600 Jahren blutiger brasilianischer Historie aus Perspektive der Unterdrückten und Unterprivilegierten ausgestaltet. Ein wichtiges Werk vom Format eines „Waltz with Bashir“, das zur kritischen Reflexion anregt.
Die in vier Segmenten offerierte Saga eines unsterblichen Kriegers, der doch machtlos gegen die Willkür brutaler Herrscher ist, ähnelt nicht nur hinsichtlich seiner Ambitionen Darren Aronofskys „The Fountain“ und der (verunglückten) Tykwer-Wachowski-Komposition „Cloud Atlas“. Liebe und Wut („love and fury“) sind die Ausprägungen des Klagelieds der indigenen Bevölkerung in einem erschütternd ehrlichen Anti-„Pocahontas“.
Die Episoden spielen 1566, 1825, 1968 und im dystopischen Jahr 2096, umfassen die tragische Sehnsucht eines Unsterblichen nach seiner von Konquistadoren, Sklavenhaltern, der Militärjunta und Fassadendemokraten bedrohten, gefolterten, geschändeten und ermordeten Geliebten. Immer wieder verliert er sie und seine Familie, immer wieder findet er ihre Seele wieder, auch wenn sie bereits an andere Männer vergeben ist.
In meditativen Vogelflügen entkommt dieser Indio seinem unbarmherzigen Schicksal, das ihm so wenig Glück und so viel Not beschert, bis er wie eine Christusfigur über Rios Zuckerhut schwebt. In dem händisch angefertigten, in Hintergründen reizenden, den Figuren schlichten und der Mimik hölzernen Zeichentrick wohnt eine archetypischer Kraft, deren zurückhaltender emotionaler Ausdruck etwas von einer Graphic Novel hat.
Nacktheit und erhebliche Gewalt sind natürlicher Bestandteil dieser blutbespritzten Kolonialgeschichte aus sozialrevolutionärer Sicht, die schon mal den Schmerz eines „12 Years a Slave“ beschwört und ihre Fantasy nicht für Eskapismus missbraucht. Sondern, um das ewige Wirken von Leidenschaft und Tyrannei zu skizzieren, das dieses Brasilien schon zu einer Zeit prägte, als es nur der Name eines Baumes war.
Eine Nation, die fern der unbeschwerten Samba-Party der WM 2014 und Olympia 2016 dahintreibt, wiewohl über ihr ein Hoffnungsvogel kreist.
Ein Gedanke zu „Rio 2096“