Dietrich Brüggemann, D 2015
Kinostart: 16.07.2015, DVD/BD-Start: 17.12.2015
Wahnsinn Deutschland: Dietrich Brüggemann („3 Zimmer/Küche/Bad“) wechselt nach seiner strengen wie anstrengenden Autorenfilm-Passion „Kreuzweg“ radikal die Richtung und teilt in einer Satire-Komödie deftig aus gegen Rechte und Linke, gegen Medien, Intellektuelle, TV-Talks und Kulturbetrieb (einschließlich Christoph Schlingensief), Politiker und den Verfassungsschutz. „Heil“ gleicht einer Ausgabe der Satirepostille Titanic („Wer kennt diesen Mann?“) mit dem Humor des MAD-Magazins.
Brad Peyton, USA 2015
Kinostart: 28.05.2015, DVD/BD-Start: 15.10.2015
Ein einzelnes „Erdbeben“ wie 1974 reicht heute nicht mehr – ein ganzer Schwarm Erdstöße sprengt erst den Hoover Damm, dann Los Angeles und San Francisco. „San Andreas“, benannt nach der tektonischen Verwerfung, die Kalifornien durchzieht, ist eine so sündteure wie sinnloses Effektorgie. Aber auch ein Katastrophen-Porno, der sogar Spaß macht. Und das, obwohl er haarscharf und überraschungsfrei, jedoch weniger trashig das Reißbrett-Konzept von Roland Emmerichs „2012“ und „The Day After Tomorrow“ übernimmt.
Poetisch-trauriges, berührend gespieltes Indie-Drama um ein Junkie-Liebesprächen, das über dem Abgrund schwebt
Collin Schiffli, USA 2014
ohne deutschen Start
Story: Jude und Bobbie sind ein obdachloses Liebespärchen, das in einem alten Wagen wohnt und durch Chicago streift, um mit dreisten Trickbetrügereien ihre Heroinsucht zu finanzieren. Als die Diebstähle nicht mehr glatt laufen und ihre Gesundheitsprobleme überhand nehmen, geraten sie in höchste Not.
Von Max Renn
Das milieu- und lebensnahe Drogendrama „Animals“schwelgt derart in poetischer Stimmung, dass man ganz tief darin versinken möchte. Nicht nur die Bildsprache von Collin Schiffli (Regie & Produktion) ist ausgereift. David Dastmalchian (Nebenpart in „Prisoners“), der Script & Hauptrolle übernahm, liefert darüber hinaus gemeinsam mit seiner Filmpartnerin Kim Shaw (Kleinrolle in „Sex and the City“) eine Gänsehaut-Performance.
Das Remake des Spukeffektfeuerwerks folgt mit hinterlistigem Humor den unheimlichen Fußstapfen von „Insidious“
Gil Kenan, USA 2015
Kinostart: 28.05.2015, DVD/BD-Start: 22.10.2015
Story: Als die Bowens aus finanziellen Gründen in ein preisgünstigeres Heim umziehen müssen, ist es schon bewohnt: Eine unheimliche Jenseitsmacht fällt ihre drei Kinder an und saugt Nesthäkchen Madison durch ein Loch in der Wand fort. Parapsychologen und ein TV-Geisterjäger sollen sie zurückholen.
Von David McAllan
Fraglos braucht niemand ein Remake von „Poltergeist“, der Hooper/Spielberg-Produktion von 1982, ein grelles Geisterbahnspektakel der populären Sorte, in dem nicht nur eine Familie archetypisch mit einer Lichteffektschau terrorisiert wurde, sondern das auch eine Satire auf, bisweilen auch Komödie über Vorstadtleben und Fernsehkonsum bot. Das modernisierte Spukspektakel weiß mit mehr Chills & Thrills zu gefallen.
Ambitioniert arbeitet Michael Winterbottom den Fall Amanda Knox zwischen „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ und Dantes „Inferno“ auf, ist letztlich weder das eine noch das andere.
Was Doku-Regisseur David Gelb für die Low-Budget-Horrorschmiede Blumhouse („Paranormal Activity“, „Insidious“, „Sinister“, „Oculus“) mit knapp dreieinhalb Millionen aufgesetzt hat, kombiniert beinahe storyfrei Wiederbelebungs-Motive aus „Frankenstein“ zu einem One-Location-Chiller der Sorte „gleich wieder vergessen“. Mit „The Lazarus Effect“ erweist Gelb weder der eigenen Karriere noch der von Mark Duplass („Journey of Love“) und Olivia Wilde („Tron: Legacy“, „Rush“) einen Gefallen.
Hugh Laurie stiehlt George Clooney die Show in dem effektreichen, aber belanglosen Disney-Familienzukunftsabenteuer
Tomorrowland, Brad Bird, USA 2015
Kinostart: 21.05.2015, DVD/BD-Start: 08.10.2015
Story: Als Teenagerin Casey eine Anstecknadel berührt, blickt sie in eine Zukunftswelt. Um diese Welt zu retten, benötigt das Mädchen Athena sie und das einstige Wunderkind Frank, der inzwischen ein verbitterter Einsiedler ist. Technikguru Nix, Herrscher von Tomorrowland, opponiert mit aller fiesen Finesse.
Von Thorsten Krüger
Animationsgenie Brad Bird („Der Gigant aus dem All“, „Ratatouille“) erreicht diesmal nicht die Qualitäten, die noch sein Realfilmdebüt, den vierten „Mission Impossible“ (und besten Part der Reihe) auszeichneten. Dafür, dass er eigentlich nur einen weiteren Disney-Theme-Park verfilmt (wie auch „Pirates of the Caribbean“ einer ist), gelingt ihm ein hübscher, belangloser Familienspaß, der sich wie ein Superheldenabenteuer ausnimmt.
Für immer jung: zielpublikumsträchtige, dennoch berührende romantische Fantasie um das Herzschmerzleben einer Alterslosen
The Age of Adaline, Lee Toland Krieger, USA 2015
Kinostart: 09.07.2015, DVD/BD-Start: 19.11.2015
Story: 1935 beendet ein Unfall den Alterungsprozess der 29-jährigen Adaline. Nur ihre Tochter kennt ihr Geheimnis. Als 2013 der charmante Ellis um ihre Hand anhält, bricht sie mit ihrer strikten Regel, allein zu bleiben. Bis sie seine Familie besucht: Ellis Vater William war einst ein Geliebter, den sie verlassen hatte.
Von Caroline Lin
Ungeachtet seines wissenschaftlichen Voice Overs wählt Lee Toland Krieger („Celeste & Jesse Forever“) keine SciFi, sondern einen magisch-märchenhaften Tonfall, der in romantischer Sanftheit ein immer topmodisch ausgestattetes Melodram um Model Blake Lively („Savages“) webt, die sich trittsicher auf weichgespülten Nicholas-Sparks-Terrain bewegt, wofür auch Drehbuchautor J. Mills Goodloe („The Best of Me“) bürgt.
Gleichermaßen deftig komische wie blutige B-Horrorthrillerfarce, in der Marcus Nispel den Teufel Pogo tanzen lässt
aka ExitUs – Play It Backwards, aka Exeter, aka Backmask, Marcus Nispel, USA 2015
DVD/BD: noch kein Starttermin
Story: Eine Gruppe Teens soll für Pfarrer Conway das seit einem Feuer verlassene Exeter Asylum renovieren. In dem verwüsteten Trakt, der für Menschenexperimente berüchtigt war, feiern sie heftig Party und erwecken mit übernatürlichen Ritualen einen Dämon, der von Patricks Bruder Rory Besitz ergreift.
Von Jochen Plinganz
Nach seinem Misserfolg „Conan“ begnügt sich der deutschstämmige Remake-Maniac Marcus Nispel mit einem niedrig budgetierten B-Picture, finanziert von Genreproduzenten („Extraterrestrial“, „Insidious“). Dank „Texas Chainsaw Massacre“, „Pathfinder“ und „Freitag, der 13.“ sind die Erwartungen an ihn niedrig, womit seine unbekümmerte „Evil Dead“-Hommage in „Session 9“-Kulissen überraschend unterhaltsam ausfällt.
Die tragische Anime-Ballade von einem blutrünstigen Kannibalenkind reflektiert bildgewaltig und apokalyptisch über die conditio humana
aka Ashura, Kei’ichi Sato, J 2012
ohne deutschen Start
Story: Acht Jahre, nachdem ihn seine verzweifelte Mutter ins Feuer warf, streift der von Wölfen großgezogene Asura durch das feudale Japan des 15. Jahrhunderts, das von Hunger, Elend und Gewalt geprägt ist. Er ernährt sich von Menschenfleisch, wovon ihn ein Mönch und Reisbauerstochter Wakasa abzuhalten versuchen.
Von Sir Real
Bevor Kei’ichi Sato mit „Black Butler“ kräftig daneben langte, nahm er sich 2012 George Akiyamas gleichnamigen „Asura“ vor. Mit der bisweilen atemberaubenden Adaption des berüchtigten Mangas, nach seinem Erscheinen 1970 in Japan vorübergehend verboten, machte sich Sato einen Namen. Die krasse Toei-Animation unterscheidet sich vehement vom jugendfreien Studio-Ghibli-Stil. Nur der sülzige Soundtrack kann einpacken.
Das österreichische Autorenhorrorpsychodrama „Ich seh, ich seh“ von Severin Fiala und Veronika Franz (die für den hier als Produzenten fungierenden Ulrich Seidl Drehbücher wie „Hundstage“ schrieb) trägt die Handschrift von Seidl und dessen Hang, das menschlich Monströse auf hautnah unangenehme Art zu sezieren. Das kleine, böse Märchen um katastrophal eskalierende Machtspiele zwischen einer Mutter (Susanne Wuest, „Mörderschwestern“) und identischen Zwillingen (Elias und Lukas Schwarz) wird von schaurigem, harten Realismus dominiert, ist aber total unglaubwürdiger Blödsinn.
Ein Bogeyman wütet heftig, nachdem eine Mutter ihrem Kind die falsche Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen hat. Solide, weithin überschätzte Horrorgroteske.
Genie & Wahn, heute in der Beach-Boys-Variante – nicht als Best-of-Musikfilm, sondern anspruchsvolles Schauspielerkino
aka Love and Mercy, Bill Pohlad, USA 2014
Kinostart: 11.06.2015, DVD/BD-Start: 15.10.2015
Story: Während er sein avantgardistisches Meisteralbum aufnimmt, driftet der Kopf der Beach Boys, Brian Wilson, in eine schwere Psychose. 20 Jahre später steht er als Medikamentenwrack unter der Vollzeitkontrolle des dubiosen Therapeuten Dr. Landy. Die Liebe zu Autoverkäuferin Melinda könnte ihn retten.
Von Thorsten Krüger
Die Biografie der Kreativkopfs und Komponisten der Beach Boys, Brian Wilson, benannt nach seiner Solo-Single „Love & Mercy“, ist keine „Good Vibrations“-Karaoke. Bill Pohlad, Produzent von „12 Years a Slave“ und „Der große Trip – Wild“, veranstaltet halb ein konventionelles Biopic, das wieder mal Genie und Wahnsinn bemüht, halb einen unorthodoxen Trip in eine gebrochene Psyche samt psychedelischen Exkursionen.
Eine bittersüße Tiergeschichte aus kindlicher Perspektive, inspiriert von realen Ereignissen 2002, schildert die palästinensisch-italienisch-deutsch-französische Produktion „Giraffada“ zwar leicht, unsentimental und mit poetischer Ader, aufgrund mangelnder Regie-Tauglichkeit des palästinensischen Novizen Rani Massalha aber ohne zu berühren. Die Rettung eines trächtigen, traumatisierten Giraffenweibchens im Zoo des Westjordanlands fällt im Bemühen, seine Inhalte kindgerecht und zugleich ernsthaft zu unterbreiten, so lala aus.
Exzellente, fantasieanregende Science-Fiction-Mystery um vier Twens, die durch die „Lost“-Dimensionen springen
Christopher Leone, USA 2015
ohne deutschen Start
Story: Boxer Ronan folgt der Mailboxnachricht seines Vaters, dem er vor Jahren den Rücken kehrte. Mit seiner Schwester Beatrix und Nachbar Harry betritt er ein leerstehendes Hochhaus in der City – und landet in einer Parallelwelt, wo er Polly trifft, die mit dem Gebäude alle 36 Stunden in eine andere Welt springt.
Von Jochen Plinganz
Ein mysteriöses Gebäude ist das Tor zu unendlich vielen Parallelwelten, ähnlichen und fremden, und vier Mittzwanziger die Passagiere eines Trips ohne (rasche) Wiederkehr. Ursprünglich sollte „Parallels“ die Pilotfolge einer Netflix-Serie von Fox Digital werden, die ihn aber zum eigenständigen 83-Minüter umtauften. Das Spielfilmdebüt von Christopher Leone ist damit eine der interessantesten SciFi-Serien, die es nie geben wird.
Viggo Mortensen auf einem elementaren Fußmarsch, der vor karger Wüstenwildnis über den Algerienkrieg reflektiert
Loin des hommes, aka Far From Men, David Oelhoffen, F 2014
Kinostart: 09.07.2015
Story: Algerien 1954. Ex-Major Daru hat sich in ein einsames Tal im Atlasgebirge zurückgezogen, wo er einheimische Kinder unterrichtet. Als ihm ein französischer Soldat den Mörder Mohammed übergibt, muss er ihn vor dem Blutrache-Mob schützen. Beide fliehen in die Berge und geraten zwischen die Fronten.
Von Caroline Lin
Der „Herr der Ringe“-Aragorn hat einen Hang zu existenzialistischen Rollen, in denen ihn meist eine düstere Vergangenheit einholt („A History of Violence“). Dazu passt David Oelhoffens Zwei-Personen-Drama „Den Menschen so fern“ perfekt. Nach Albert Camus’ Novelle „Der Gast“ produzierte Mortensen das kammerspielartige Kriegsdrama (meist) unter freiem Himmel vor imponierender, karger Bergwüstenwildnis selbst.