Vom Ende einer Geschichte

Reife, anspruchsvolle und exzellent gespielte Literatur-Adaption über Liebe, Verdrängung, Verantwortung und biografische Illusionen

Vom Ende einer Geschichte Cover

The Sense of an Ending, Ritesh Batra, GB 2017
Kinostart: 14.06.2018
Story: Auf verschlungenem Wege erbt der pensionierte, geschiedene Tony das Tagebuch seines lange verstorbenen Cambridge-Studienfreunds Adrian. Tonys ereignisarmes Leben gerät aus den Fugen, als er Neues erfährt hinsichtlich seiner Schuld am Suizid Adrians, der ihm seine Freundin Veronica ausspannte.
Von Thorsten Krüger

Nach seinem zartbitteren, melodramatischen Welterfolg „Lunchbox“ ließ sich der Inder Ritesh Batra viel Zeit, um nun gleich zwei englischsprachige Dramen nachzulegen, „Unsere Seelen bei Nacht“ und „Vom Ende einer Geschichte“, wobei Letzterer der deutlich Interessantere ist. Die Adaption von Julian Barnes‘ preisgekröntem Roman ist ein slow burner wie Batras Erstling, mit zeitgenössischen Anleihen bei Joe Wrights „Abbitte“.

Wie das Gedächtnis uns trügt: Jim Broadbent („Le Weekend“) demonstriert wieder beeindruckend, wieso er als einer der besten britischen Schauspieler gilt, wenn er allürenfrei als recht einsamer Rentner Tony ein träges Nischenleben führt, das von Erinnerungen durchweht ist, die sich in vielen Rückblenden manifestieren. Bei denen allmählich herauskommt, dass sein Gedächtnis trügt und sich der alte Mann Einiges schönredet.

Die Zeit nimmt ihre Rache

Ein Hassbrief und seine (tödlichen?) Folgen stehen im Zentrum eines Mysteriums, das sich sehr langsam entblättert. Batra rollt „Vom Ende einer Geschichte“ scheibchenweise auf, wiegt die Schwere von Liebesfrust und einem Fehler, dessen Auswirkungen unabschätzbar bleiben, mit etwas Humor auf. Sein aus der Zeit gefallener Protagonist, ein Mensch mit Fehlern, hat nicht nur schrullige Eigenheiten, ohne sich deren bewusst zu sein.

Selbstüberschätzung, Selbstzentriertheit, Selbstmitleid – dies alles verhindert den klaren Durchblick bei jemand oft Verletzendem, der glaubt, nur noch die Vergangenheit zu haben, obwohl die Gegenwart (Freunde, schwangere Tochter, freundliche Exfrau) sein Leben bereichern. Aber die Zeit nimmt ihre Rache, entfaltet sich als Boy-meets-Girl-Geschichte über Jugend und Alter. Mit einer unnahbaren Charlotte Rampling („Euphoria“).

Womöglich erfahren wir nie die Wahrheit

Selbstmord ist die einzige wahre philosophische Frage: Aus einer unklaren Konstellation schälen sich Gedanken über geschönte Erinnerungen, persönliche Verantwortung, dem Ausmaß der Bedeutung einer Existenz und dem Einfluss auf andere Menschen. Womöglich erfahren wir nie die Wahrheit. Und: Muss eine Beziehung irgendwohin führen? Das sind seltene, elementare Themen, Batra bringt sie intelligent und mit Wirkung an.

imdb ofdb

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