Start: 15.06.2018 (Netflix)
Tony Gilroy ist einer von Hollywoods profiliertesten Thriller-Autoren – er schrieb drei Drehbücher der „Bourne“-Reihe. Der ältere Bruder von Dan Gilroy produzierte überdies dessen hervorragendes Debüt „Nightcrawler“, mit dem sich „Beirut“ die Eigenschaft teilt, die Nacht in die Seelen der Akteure zu senken. In toll fotografierten, finsteren Interieurs vibriert die Spionagestory angemessen schummrig, zwielichtig und bisweilen morbid.
Brad Anderson, der nach „Session 9“ und „Der Maschinist“ die Erwartungen lange nicht mehr erfüllen konnte, spielt die Stärken des ausgebufften Scripts aus um ein tödliches, schmutziges Spiel von PLO, CIA und Israel, ferner der Hamas, Iran und Syrien. Verlass ist dabei auf Jon Hamm, der eine gute Variation seiner Rolle aus „Mad Men“ liefert, sowie Rosamund Pike („Gone Girl“), die ihre Stärken indes nicht ganz ausspielen kann.
Dafür ist ihre Figur zu blass, obwohl „Beirut“ sonst durch klasse Dialoge, griffige Szenen und Charaktere besticht. Das ist mehr John le Carré als Jason Bourne (packender geht nur der südkoreanische „Steel Rain“ bei dem Sujet in die Vollen). Aber Andersons Ansatz ist nicht die atemlose Action, sondern ein nachtschwarzer Realismus. Komplexes Kino für Denkende statt simpler Bedürfnisbefriedigung mit Explosionen an jeder Ecke.
Politisches Hintergrundwissen schadet nicht bei der Rezeption eines Agententhrillers ähnlich vielen um das Europa des Kalten Kriegs, wo nicht Glanz und Gloria, sondern die Schattenseiten und Verluste des Metiers dominierten. Im undurchsichtigen Machtduell multipler Akteure, die vornehmlich im geheimen operieren und keine Rücksicht auf Menschenwürde oder -leben nehmen, geht es nur darum, den Gegner mit Grips zu überlisten.
Für die gestrauchelte Hauptfigur, die nach zehn Jahren in eine Stadt zurückkehrt, deren kosmopolitische Aura früherer Tage den Trümmern einer zerstörten Gegenwart gewichen ist, findet ein Familientreffen statt, das die Konfliktlinien und Dilemmata des Nahen Ostens geballt wiedergibt. Er wird in komplizierte Verhältnissen hineingezogen, steht zwischen allen Stühlen, wo ihn jeder in die Mangel nimmt und sein eigenes Süppchen kocht.
„Beirut“ gehört jener akut vom Aussterben bedrohten mittleren Budgetklasse für Erwachsene an: ein robustes, spannendes Werk, nicht frei von Stereotypen (wieso werden eigentlich alle Männer nach dem Tod ihrer Frau stets zu Alkoholikern?), aber ein seriöser Ansatz darüber, wie kleine Expendables ihre Haut retten müssen. Überdies ein ideales Double Feature mit dem oscarnominierten „The Insult“, der im Oktober anläuft.
imdb ofdb