Ich fühl mich Disco

Feinsinnig, tragikomisch, ergreifend: (Schlager)Musik und Fantasie transzendieren Pubertätsleiden von Schicksalsschlag bis Coming Out.

Ich fühl mich Disco Cover

Axel Ranisch, D 2013
Kinostart: 31.10.2013
Story: Der sensible Florian steckt mitten in der Pubertät und ist nur glücklich im Schlagergesangsduett mit seiner unverkrampften Mutter. Als die nach einem Schlaganfall im Koma liegt, muss er sich mit seinem verständnislosen Vater herumschlagen, entdeckt seine Homosexualität und verliebt sich in den Falschen.
Von Thorsten Krüger

Sensationell sensible wie erschreckend echte Tragikomödie aus der „Das kleine Fernsehspiel“-Qualitätsschmiede über das Erwachsenwerden, den Abschied von der Mutterliebe und die Qualen des Coming Out. Rosa-von-Praunheim-Schüler Axel Ranisch beweist in seiner fantasievollen Liebeserklärung an die eigene Jugend, wie frisch, frech und hervorragend deutsches Kino sein kann, wenn man nur spontan und talentiert ist.

Manchmal ist das Leben einfach nur eine Flasche Bier: Die Leiden des jungen F. vereint Familiendrama, irre komische Farce, erschütternd starke Gefühle und einen detailreichen Blick ins beengte Nachbarwohnzimmer – schrullig-schräg, aber ungefiltert authentisch. Das Glück liegt unter der Discokugel, wo ein musisch-verträumter Moppel Schlager singt, deren Texte Gefühlslagen so berückend transzendieren wie die Klavierpartituren Rachmaninows.

Diese formvollendete Kunstfertigkeit, wie man sie im steifen teutonischen Kino selten sieht, verzahnt unverfälschtes Milieu, surreale Tagträume und melancholisch-skurrilen Musikfilm (mit Auftritten von Christian Steiffen, der seine eigenen Songs singt) zu einem feinfühligen, persönlichen Gedenken der Zumutungen der Pubertät. Im Solondzschen Spießrutenlauf der Demütigungen fällt nur der Auftritt des machohaften Rüpels Radu qualitativ ab, der allein dazu da scheint, Florians Qualen zu verlängern.

Die Leiden des jungen F.

Es wird ein langer Abschied von Kindheit und Geborgenheit, in der ein Außenseiter mit seinen Problemen allein ist, denn sein Vater mag es gut meinen – seine Unvermögen potenziert die Qualen. Beide kollidieren: Vater Hanno, ein voluminöses Walross-Original mit dumpfen Bier- und Fußball-Horizont und sein verschüchterter Spross, dem seine nicht mehr aus dem Koma erwachende Mutter in Wunschfantasien liebevoll beisteht, während er der in der Realität unentwegt verspottet und beleidigt wird.

Zwei Strategien zur Trauerbewältigung fängt die mobile Kamera behutsam, aber brüllend komisch und erschütternd tragisch ein: Pessimist gegen Optimist, ein sich letztlich zusammenraufendes Vater-Sohn-Gespann, wie von Xavier Dolan („Laurence Anyways“), nur warmherzig statt wütend. Denn egal, wie sehr sich die Symphonie über verständnislose Erwachsene mit realsatirischen Stillleben füllt, es geht vorüber und mit berückender Phantasie lässt sich auch der Tod ertragen.