Der Fremde am See

„Blow Up“ mit Blow Job: Undurchdringlicher homoerotischer Kunst-Thriller, der seine Naturkulisse betörend minimalistisch ablichtet.

Der Fremde am See Cover

L’inconnu du lac, Alain Guiraudie, FR 2013
Kinostart: 19.09.2013 DVD/BD-Start: 29.11.2013
Story: Sommer in Südfrankreich: ein abgelegener Badesee hat sich zum Cruising Spot für Männer entwickelt und auch der junge Franck sucht hier Anschluss. Mit dem an Sex desinteressierten Einzelgänger Henri freundet er sich an, im Athleten Michel findet er einen Lover. Den er zuvor bei einem Mord beobachtete.
Von Thorsten Krüger

Leidenschaft und Tod sind die Pole, zwischen denen sich Alain Guiraudies („Der Ausreißer“) zeigefreudiger wie unterschwelliger Kunst-Thriller bewegt. In lyrischem Minimalismus entwirft er den abgeschiedenen Kosmos eines idyllisches Cruising-Mekkas, ertastet mit trockenem Humor und trotz hellem Sonnenlicht faszinierender Undurchdringlichkeit emotionale Abgründe von Begehren bis Mord.

Das in Cannes mehrfach prämierte Werk gehört einer neuen Generation des Queer-Cinema an, das von Selbstverständnis und Normalität geprägt ist. Wozu auch ausführlich und explizit dargestellter Sex zählt. Was nichts für Arthaus-Freunde mit Berührungsschwierigkeiten ist, denn Ejakulation und andere Details rangieren nahe der Kunstpornografie.

Nur die Sonne war Zeuge

Ein anspruchsvoller Stil sublimiert die auf wenige Schauplätze beschränkte, durch permanente Wiederholungen abgezirkelte, in starren Einstellungen beobachtete Beschaulichkeit. Stilsicher entwirft Guiraudie eine ganz eigene Poesie, eine eigene Welt, irgendwo an einem namenlosen Steinsee. Ganz ohne Musik: Einzig die überwältigende Natur, das Rauschen des Windes, die Geräusche von Wald und Wasser bilden den vielsagenden Soundtrack.

Nur die Sonne war Zeuge: Was sich zunächst wie eine Schwulenvariante von Rohmers Sommerfilmen ausnimmt, wird rätselhafter, finster. Die nackten Männerkörper und ihre FKK-Kultur am Pirschplatz, die Sexabenteuer im Waldstück, ihr lakonisches Einverständnis, Voyeurismus als Running Gag, die kleinen Eifersuchtsdramen – langsam transformiert sich der dokumentarische Naturalismus in etwas Unbegreifliches über die Fremdheit der Menschen.

Die unbegreifliche Fremdheit der Menschen

Denn als Franck allein im schwindenden Tageslicht Michel, diesen verwegenen Schwimmer mit Tom-Selleck-Schnäuzer bei einem Mord beobachtet, lässt er sich sehenden Auges auf eine gefährliche Affäre mit ihm ein. Und schweigt gegenüber der Polizei. Die antipsychologische Manier, in der die Figuren opak bleiben, wiegt Begierde gegen Angst auf, stellt die Erotik der Todesgefahr aus, einem gewissenlosen Mörder zu lieben.

Eros und Thanatos sind Triebkräfte, die unter der sonnigen Oberfläche subtil brodeln. Gerade weil Henri verschlossen bleibt, ist Franck an ihm interessiert. Guiraudies keinem Genre zuzuordnender Film muss ebenfalls erschlossen werden. Mit einer losen Krimistruktur und einem Hang ins Mystische findet er den Todeswunsch in emotionalen Entfremdungen, was in beklemmend finsterer Nacht endet.

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