Kinostart: 21.11.2013, DVD/BD-Start: 30.04.2014
Vom Vater geschrieben, vom Sohn inszeniert: Altmeister Miyazaki adaptierte eine Mädchen-Manga-Reihe aus den 80ern, sein Sohn Goro setzte auf altmodische Art einen nostalgisch-sittsamen Boy-meets-Girl-Heimatfilm um, der 2011 zum größten heimischen Kinoerfolg avancierte. So konservativ-konventionell der Junior auch in Japans Vergangenheit taucht, so sanft sentimental und unbedingt berührend ergründet er ein Familiengeheimnis.
Mit „Die Chroniken von Erdsee“ hatte er sich noch an Ursula K. Le Guins Zauberersaga verhoben, stellt nun die Fantasy in den Schrank und entwickelt mit einem einfachen und gemächlichen Rückblick auf das Jahr 1964 ungeahnte Qualitäten: Eine Zeitenwende – das Nachkriegs-Chaos ist überwunden, die anstehende Olympiade markiert die Hinwendung zu einer prosperierenden Zukunft.
Der schlichte, mitunter antiquiert wirkende Handarbeit-Zeichenstil mit verbesserungsbedürftiger Mimik schwelgt in einer heilen Welt, in der Menschen prinzipiell wohlgesonnen sind und die bodenständig-vorbildliche Protagonistin ihr Dasein zwischen Kochen, Haushalt und Schule verbringt. Dies widmet sich leichtgewichtig viel banaler Hausarbeit, führt aber damit sachte an familiäre Auswirkungen von Geschichte heran.
Im Kreise der Verwandtschaft, in Gartentischrunden und beim Renovieren des Clubhauses Quartier Latin regiert stets ein properes Sittenideal statt Rebellion. Denn es geht darum, dass Vergangenheit nicht ignoriert, Erinnerung nicht für (seelenlos) Neues zerstört werden darf. Diese Botschaft wird komödiantisch mit Aufruhr unter den Alumnen, hitzigen Debatten und drolligem Frühjahrsputz im verstaubten Freizeithaus unterbreitet.
Melodramatisch, aber nie kitschig, äußert sie sich in der Romanze zwischen Umi und dem älteren Shun, der sie irrtümlich für seine Schwester hält. Ihr Liebeskummer und die Träume vom seit ihrer Kindheit schmerzlich vermissten Vater, auf dessen Rückkehr sie hofft, sind traurige Emotionszentren und Beweggründe dafür, Shuns Geheimnis seiner Herkunft und dasjenige ihrer Eltern auf rührende Weise zusammenzuführen.
Dabei offenbart sich die Freundschaft dreier Matrosen, deren Schicksal komplizierte Folgen zeitigt. Landesgeschichte – Adoptionen, Kriegswaisen, Hibakusha – spiegelt sich einfühlsam in Familiengeschichte. Mit dem Vergangenen ins Reine zu kommen, um bereit für sein künftiges Leben zu sein, ist das Anliegen dieses an große Publikumsschichten adressierten Familienfilms, der für die Erhaltung historischen Kulturguts plädiert.
Wie aus der Zeit gefallen und geradezu tugendhaft-bürgerlich porträtiert Miyazaki eine zuversichtliche Ära des Aufbruchs und gemahnt daran, das Alte in Ehren zu bewahren. Egal, ob Gebäude, Werte oder Erinnerungen, die in unseren Kindern fortleben. Dass die prächtig aussehende Ode an an den Geist jener Tage so fabelhaft funktioniert, liegt überdies an der vielseitigen musikalischen Untermalung.
Die offenbart mit dem Gesang von Volks- und Seemannsliedern, über heimelige Klavierklänge und japanische Schlager bis hin zu Jazz und Swing der amerikanischen Besatzer nicht nur eine phantastische Bandbreite, sondern transportiert trotz jugendlichen Figuren gefühlvoll Familienthemen für Erwachsene.
Nun kann Olympia 2020 in Tokio kommen.