Kinostart: 08.08.2013 DVD/BD-Start: 05.12.2013
Entgegen mancher Unkenrufe ist die sündteure Disney-Extravaganz des „Pirates of the Caribbean“-Teams Bruckheimer/Verbinski/Depp kein hirntoter 250-Millionen-Flop wie „John Carter“, sondern Deluxe-Entertainment, das seinen Anspruch hinter Buddykomik und Effektschlacht verbirgt. Die mythische Rächer-Fabel nach einer bei uns nahezu unbekannten Serien-Figur siedelt nicht immer stimmig zwischen Komödie und Tragödie.
„What’s your crime, boy? -Indian“: Der Ritt durch die Genrevielfalt kratzt gehörig am Gründungsmythos der USA, wenn die Landnahme beim Eisenbahnbau 1969 mit dem Massenmord an Indianern einhergeht. Der Fortschritt frisst indigene Völker, bevor er an die Börse geht. Ein trauriges Kapitel mit ebensolcher Moral, von der Verbinski leider mit allerlei Action, Selbstironie, Slapstick und Klamauk ablenkt.
Johnny Depp treibt als Indianer Tonto (deutsch: Idiot), der als einziger Überlebender eines Massakers den Verstand verloren hat, mit Totenmasken-Makeup und Deadpan-Mimik à la Buster-Keaton, skurril und tragisch die Handlung voran, der patente No-Name Armie Hammer ergänzt ihn als Buddy, der als Pazifist unter ruchlosen Mördern viel über Rache, Recht und Gesetz, sowie Zivilisation und Barbarei lernt.
Das auf zweieinhalb Stunden unnötig aufgeblasene Werk ist John Ford (Wüsten- und Prärie-Panoramen) und Sergio Leone (Habgier, Sadismus und Geschäfte wie in „Spiel mir das Lied vom Tod“) gleichermaßen verpflichtet, aber auch „Little Big Man“ und vor allem „Der mit dem Wolf tanzt“. Neben seiner Reverenz an Superhelden entwickelt das satten Horror-Touch, ist trotz hellen Widerscreen-Bildern düster und brutal.
Zwischenzeitlich gerät der Gothic-Gehalt zur schwarzhumorigen Fassung von „The Crow“, eine makabre Moritat mit William Fichtner als Kannibalen-Scarface, der Bluthund einer skrupellosen Business-Mafia. Auch die spirituelle Welt und indianische Mythen sind allgegenwärtig, sie schicken ein geisterhaftes Duo in einem mörderischen Maskenball.
Wenn ein sterbender Stamm in den Untergang reitet, weil Armee, Industrie und ihre gedungenen Killer einhellig Tonnen von Silber stehlen wollen, um ein ganzes Land zu kaufen, wird, drastischer noch als bei Scorcese, die Geschichte eines gigantischen Verbrechens erzählt: die Staatsgründung Amerikas. Das kann dem US-Publikum nicht gefallen haben.
Zu lange quält sich Verbinski mit einem schwerfälligen Schurken-Plot herum, gibt außerdem Ruth Wilson als fades Love Interest zu viel Raum, alldieweil Helena Bonham Carter als Puffmutter mit Porzellan-Gewehrbein nach Art von „Planet Terror“ deutlich mehr Platz verdient hätte. Auch hier stimmt die Gewichtung nicht, bevor sich ein dazu völlig unpassendes Finalfurioso darüber legt, wie der Auftakt eine pure Achterbahnfahrt mit Action per Zug (samt „The General“-Zitaten). Die ist sichtbar gigantoman, mit der Wilhelm Tell Ouvertüre laut und betont grell-witzig, als gelte es, die ernsthaften Töne zu überspielen – was ein inkonsistentes Erlebnis mit dissonanter Tonlage beschert.