Kinostart: 31.10.2013, DVD/BD-Start: 03.04.2014
Die Wahrheit? Es gibt nur Versionen. Bill Condon, der nach einigen banalen Beiträgen („Breaking Dawn“) mit Charakterkopf-Ensemble endlich wieder ein heißes Eisen anpackt, ist zu schlau für simplen Sensationismus. Seine Geschichte der Whistleblower-Webseite um den Scoop des Jahrhunderts ist ein ungemein packender Hacker- und Politthriller, der Geheimdienste entlarvt und mit Julian Assange abrechnet.
Zwei Bücher liegen dem intelligenten Porträt zugrunde, eines davon stammt von Daniel Domscheid-Berg. Daniel Brühl glänzt erneut, nach „Rush“ diesmal als pfiffiger Vollbart-Hacktivist, den Plattform-Gründer Assange (Benedict Cumberbatch genial als manipulatives Ekel) engagiert, um mit dem Laptop als Waffe gemeinsam die Welt zu verändern. Später treten dem Team noch Moritz Bleibtreu und Carice van Houten bei.
In atemberaubenden Tempo und rasanter Montage treibt Condon einen aufgekratzten, milieuechten Thriller um Hacker, Aktivisten und Journalisten an, der wie seine Figuren immer in Bewegung bleibt. Die Regie-Leistung bürgt für ein Drama mit pointiert-humorvollen Dialogen und gewitzten Charakteren, ein persönliches, bewegendes Psychogramm über Abgründe und Lügen. Das erzählt, wie sich zwei Gefährten finden und überwerfen, entwickelt sich rasch nicht nur zum modernen Politstoff, sondern auch zum bestürzenden Spionagekrimi.
Condon visualisiert umwerfend Chats und Hacks, bleibt authentisch am Puls der Zeit. Aus Sicht des Sympathieträgers Daniel entfaltet sich das Porträt eines so paranoiden wie skrupellosen Lügners, der den Ruhm einstreicht, während Informanten wie Bradley Manning ihr Leben verwirkt haben (siehe „We Steal Secrets“). „Star Trek“-Schurke Cumberbatch brilliert als egomaner falscher Prophet eines Medienimperiums ohne Ethos.
Zugleich entfaltet sich die schwungvolle Story von David gegen Goliath, ein atemberaubender Feldzug gegen die Arroganz der globalen Machteliten. Bis das Imperium zurückschlägt. Der Medienkrieg nach dem Apache-Video „Collateral Murder“ wird in News-Ausschnitten entfesselt sowie dem unerbittlichen Wirken von US-Behörden und -Geheimdiensten, deren Attacken den Überlebenskampf der Seite einläuten.
Schaudernd blickt Condon auf die Welt der digitalen Information und ihre realen Auswirkungen bis hin zum Mord an Zuarbeitern. Er entlarvt Mythen und Legenden rund um die Webseite und ihren Betreiber. Dass dabei die Leaks selbst in den Hintergrund treten, ist ein besonders bedauerlicher, aber keineswegs selbstverständlicher Effekt und sicher eine der größten Schwächen.
Aber das mit einer fabelhaften Schauspielerschar, darunter etliche deutsche Mimen, angefüllte Werk ist sonst makellos, abgesehen vielleicht vom Pamphlet-Ende. Denn alles verschmilzt zu einem Essay über Macht und Manipulation – und die vierte Gewalt, den Medien. Selten war jüngste Zeitgeschichte und was hinter ihren Kulissen geschieht aufregender gestaltet – ganz in der Tradition von „All the President’s Men“.