Children Who Chase Lost Voices

In jedem Sinne phantastisches, mysteriös-bezauberndes Jugend-Anime-Abenteuer, das visuell betörend über Leben und Vergehen sinniert.

Children Who Chase Lost Voices Cover

aka Die Reise nach Agartha, Hoshi o ou kodomo, Makoto Shinkai, J 2011
auf DVD erhältlich
Story: Auf einem Felsvorsprung empfängt die junge Asuna mit dem Clavis-Kristall ihres verstorbenen Vaters betörende Musik. Die stammt aus Agartha, dem Land der Toten, aus dem auch Shun kommt, der sie vor einem Monster rettet. Mit dem Lehrer Morisaki folgt sie ihm dorthin, um Verstorbene zu finden.
Von Caroline Lin

Makoto Shinkai, berühmt für Poeme wie „5 Centimeters per Second“, betritt mit seiner nach „The Place Promised in Our Early Days“ erst zweiten abendfüllenden Animation Studio-Ghibli-Terrain: Er verpackt eine spirituelle wie emotionale Orpheus in der Unterwelt-Odyssee in hellen Pastelltönen als Jugend-Fantasy durch eine wildromantische Wunderwelt. Fast wie ein früher Miyazaki – nicht kitschfrei, aber anrührend.

Die Motive des Altmeisters sind versammelt und wirken doch nie plagiiert, fügen sich zu einem leuchtend-lyrischen Naturgemälde mit eigenem Duktus: Umweltverschmutzung, marodierende Manga-Monster, die grausame Gier der Menschheit, die Wohlstand und Weisheit raubt und den Tod bringt, entstammen „Prinzessin Mononoke“. Aber auch aus „Das Schloss im Himmel“, besonders die arkadische Architektur:

Doppel-Plot um Trauerbewältigung

Satte, phänomenale Ruinenlandschaften im handgezeichneten Look voll pittoreskem Verfall, verlassen, weit – das ist atemberaubende Kontemplation. Das gilt auch für die gigantischen, steinernen Turmtrümmer, erst recht für den besinnlichen Wolkenzug Tag und Nacht, den nicht einmal Mamoru Hosoda („Das Mädchen, das durch die Zeit sprang“, „Ame & Yuki – Die Wolfskinder“) so faszinierend hinbekommt.

Obwohl sich Shinkai konventionell an ein junges Publikum wendet – etwas Romantik, einige Action, ein kesses Kätzchen und manche Rührseligkeiten sprechen breite Zuschauerschichten an – widmet er sich fordernden Fragen in einem Doppel-Plot um Trauerbewältigung: Sowohl Asuna wünscht sich ihren Vater zurück als auch Morisaki seine verstorbene Ehefrau, wofür der gefühlskalte Lehrer Moralgrenzen überschreitet.

Abendländische Mythologie und kosmopolitische Einflüsse

Das liebenswert-reelle Mädchen hingegen ist eine ideale Identifikationsfigur, eine ähnlich patente Musterschülerin wie Umi in „Der Mohnblumenberg“, trägt aber auch Spuren von Miyazakis furchtlosen Amazonen. Sie erforscht eine historisch-altertümliche, naturüberwucherte (und sonnige!) Unterwelt, die sowohl an Astrid Lindgrens „Die Gebrüder Löwenherz“, als auch Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ erinnert.

Noch viel mehr aber schlagen sich darin abendländische Mythologie und kosmopolitische Einflüsse von den Inka über griechisch-lateinische bis hin zu asiatischen Sagen nieder. Dieses Reich ist durch des Menschen Werk, Krieg und Zerstörung, in Ruinen gefallen, bedroht von entarteten Schattenwesen und regiert von alten Gaia-Göttern, die in Finis Terra, am Ende der Welt, geheimste wie gefährliche Wünsche erfüllen können.

Betrachtungen zum großen Kreislauf des Lebens

Beschaulich schildert Shinkai in dieser Wanderung die Flüchtigkeit des Glücks und einen Reifeprozess, bei dem schweren Herzens Abschiednehmen gelernt wird. Fast unmerklich komplex entwickeln sich neben der Vollversorgung mit visuellen Wundern Betrachtungen zum großen Kreislauf des Lebens, dem unheiligen Verhältnis der Menschen zu Naturvölkern und eigenen (religiösen) Mythen. Die melodramatisch angehauchte Geschichte von Sehnsucht, Liebe und Trauer wartet ohne Zeigefinger mit einer klaren Weisheit auf: Die Lebenden, nicht die Toten zählen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.