Kinostart: 30.01.2014
Von wegen Amok auf der Alm: Ganz ohne Betroffenheitsgehabe, erregter Dramatisierung, Therapiegeseire und simpler Erklärungsmodelle entstand eine sehenswerte Auseinandersetzung, fast eine Meditation über ein seit Erfurt und Winnenden berüchtigtes Reizthema. Durch die Augen eines Fremden entdeckt das Low-Budget-Drama das Grauen, um es in einer heilsamen, verblüffenden Romanze zu überwinden.
Thomas Sieben, der mit dem angestrengten „Distanz“ bereits einen Gewaltausbruch thematisierte, findet ideal mit Produzent/Co-Autor Christian Lyra zusammen, der mit dem intensiven „Jasmin“ schon ein Tabu-Verbrechen vorurteilsfrei und bewegend aufgriff. Stilistisch reduziert, aber so konzentriert wie ungezwungen wenden sich beide auf subtil-indirekte Art einem Gymnasiums-Massaker mit 17 Toten in der Provinz zu.
Wie sie von einer sanft-distanzierten, kühlen Sachlichkeit der Polizeiberichte zu einer emphatischen Einfühlung gelangen, ist schlicht herausragend. Wie das Abstrakte konkret, das Anonyme persönlich wird, wie Horror wieder durchlebt und Normalität neu gewonnen wird, das transportieren beeindruckend Friedrich Mücke („Friendship!“) und Liv Lisa Fries („Die Welle“) mit einer behutsamen Annäherung, die beide revitalisiert.
Parallelen zwischen dem indifferenten Roman, der keine Gedanken an andere verschwendet, und dem Täter, dessen Tagebuch, basierend auf Aufzeichnungen aus Columbine, ein beklemmendes Abrechnungsmanifest mit der Welt ist, sind auffallend (man beachte sein T-Shirt): Beide sind Einzelgänger, aber durchaus sozial eingebettet. Über die Konfrontation mit dem Unbegreiflichen kommt auch Roman wieder ins Lot.
Das vollzieht sich als Heilvorgang mentaler Verletzungen, aber völlig unsentimental, fern von Psychologisierungen und Plotpoints. Allein schon dadurch wirkt das äußerlich wenig aufregende Nachspüren emotional tief ein und nach. In Alpenherbststimmung unter wolkenverhangenen Schneebergen gelingt ein ungemein besinnliches Miteinander, wodurch der Nachklang der Gewalthandlung hinter der scheinbaren Normalität sichtbar wird.
Einfach und klar, undidaktisch und mühelos erzählt Sieben von der Überwindung des Todes und dem Abschließen mit einem Traumakapitel. Stark.