Meine Schwestern

Atemberaubend gefühlvolles Abschiedsdrama über das letzte gemeinsame Wochenende dreier Schwestern.

Meine Schwestern Cover

Lars Kraume, D/FR 2013
Kinostart: 06.02.2014, DVD/BD-Start: 02.07.2014
Story: Die von Geburt an unter einem schweren Herzfehler leidende Linda hat eine weitere Operation nicht überlebt. Von der Totenbahre blickt die 30-Jährige auf die vergangenen Tage zurück, als sie vorahnungsvoll ihre beiden Schwestern zu einer spontanen Reise überredete, um sie noch einmal zu sehen.
Von Thorsten Krüger

Der im Kino verblüffend wandlungsfähige „Tatort“-Regisseur Lars Kraume („Die kommenden Tage“) revolutioniert die Disziplin des teutonischen Krankheits- und Sterbedramas. Bar der ungemütlichen Härte eines „Halt auf freier Strecke“ und damit besser, als es der stets so überbewertete Andreas Dresen je sein könnte, fasst Kraume die existentielle Schwermut mit der Leichtigkeit und Klarheit der Nouvelle Vague an.

So französisch sind deutsche Filme sonst nur bei Stefan Krohmer („Sommer ’04“): Als würde Ingmar Bergman einen Parisbesuch bei Eric Rohmer absolvieren, erzählt, nach einem Drehbuch von Esther Bernstorff („Das Fremde in mir“), die soeben verstorbene Protagonistin (klasse: Jördis Triebel, „Emmas Glück“) retrospektiv ihre letzten Tage. Ein Kunstgriff, der von Beginn an berührt und alles in Relation zu ihrem bevorstehenden Ende setzt.

Als würde Ingmar Bergman einen Parisbesuch bei Eric Rohmer absolvieren

Unverkitscht, aufrichtig ehrlich und neutral, stilistisch leicht und gewandt beginnt eine Reise vor der anstehenden OP mit den beiden Schwestern, um Orte aufzusuchen, wo die gestundete Zeit stehen blieb. Nur sie drei, ohne Männer, derweil sie die Todesahnung subtil begleitet und eine melancholische Grundstimmung erwirkt. Aber die Charaktere erhalten Spielraum, in denen die Kamera aufmerksam über sie wacht.

Wenn die ältere, kontrollstrenge Katharina (herb: Nina Kunzendorf) und das Nesthäkchen, die weltverloren-weinerliche Borderlinerin Clara (liebenswert: Lisa Hagmeister), es gewusst hätten: würden sie dann die Zeit mit streiten verschwenden? Ihr Verhalten ist ungemein echt, zwischen Reibereien und Vertragen, ein entwaffnender Blick auf das, was zwischen den Menschen steht, was sie sich selbst verwehren – und was sie eint.

Emotionale Tour de Force, die einen ganz schön mitnimmt

Handwerklich bleibt das so zurückgenommen wie die Farben, die sachte einwirkende Poesie des herbstlichen Wattenmeers, später des sonnigen Paris, als sie, ganz spontan, Onkel und Tante in deren bürgerlicher Stadtwohnung besuchen. Linda will einfach fort, mit jenen Beisammensein, die ihr etwas bedeuten, Kraft tanken, um sich dem Unentrinnbaren zu stellen – eine emotionale Tour de Force, die einen ganz schön mitnimmt.

Angenehm auf das Wesentliche reduziert, folgt Kraume diesen unglamourösen, so unterschiedlichen Frauen, zeigt dosiert und unmittelbar, wie sie mit sich und dem Dasein umgehen, in realistischem, nie zu wortreichem oder gewandtem Miteinander. Ohnmachtsanfälle und Atemnot vergegenwärtigen ein Schicksal, das man nicht gewählt hat, ebenso wenig wie die Familie, die doch einer wunderbaren Wahlverwandtschaft gleicht.

Wallfahrt zu Sacré-Cœur, ein Aufstieg in den Himmel

Die Figuren sind der Antrieb, nicht die ungezwungene Geschichte, die Kraume in keine Richtung drängt, wodurch sich alles Menschliche entfalten darf: Was die sensible Clara an Last mit sich trägt, die sie niemanden zu offenbaren wagt; dass Katharina nur nach außen hin Härte zeigt; wie Linda wiederholt ausbüxt, ihre Flucht vor dem Tod, diese Sehnsucht nach Leben, obwohl ihre Uhr von Geburt an abgelaufen ist.

Der Kirchenchor besingt bewegend ihren Wunsch nach Trost in der Welt, ihren Gottesglauben und die Wallfahrt zu Sacré-Cœur de Montmartre, wo sie einem schwarzen Engel folgt (Béatrice Dalle in einem prägnanten Kurzauftritt), ein Aufstieg in den Himmel. Der Wechsel von Bedrückung, der Lebenslust französischer Chansons und sakraler Versenkung in Bach-Fugen gerät nie pathetisch, bedeutungsschwer oder platt. Nie.

Eine Suche in stimmungsvoller Andacht nach Frieden und Gott, eine Suche, die langsam einsickert und lange nachklingt. Wenn Linda ohne Reue aus ihrem zu kurzen Leben scheidet, verbleiben am Ende einer Reise, die zu dritt begann, nur noch zwei Schwestern in der Welt.

Bislang kein Trailer online

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