Kinostart: 23.01.2014, DVD/BD-Start: 15.08.2014
Musik gibt es kaum in Florian Eichingers fast dokumentarisch-nüchterner Autorenfilmästhetik, aber zwei-, dreimal läuft das Schmerzlied „Halt mich“ von der Deutschgothband Lacrimosa – ein hochemotionaler Ausdruck jener unbewältigten Leiden, die sich auf indirekt-unsentimentale, aber durchaus aufwühlende Art in dem unspektakulär-zurückhaltenden Beinahe-Kammerspiel unter weitem, grauen Nordseehimmel artikulieren.
Wieso haben nur so wenige deutsche Filme den Mut zu solch expressiver Musikauswahl? Wie zuvor in seinem Debüt „Bergfest“ skizziert Eichinger Menschen im Schatten von Familiengewalt und welche Auswirkungen sie auf ihr ganzes Leben zeitigt. Wieder sind Bergman und Ibsen die Koordinaten, doch der Stil gereifter, die sturmkalte Nordsee, der verwaiste Strand eine beengende Seelenlandschaft, so abweisend wie Volker.
Daniel Michel (stark schon im ähnlichen „Die Räuberin“) spielt ihn als distanzierten, nur scheinbar abgeklärten 27-jährigen, der nichts von der Familiengemütlichkeit wissen will, die sein gesundheitlich ernsthaft angeschlagener älterer Bruder (Martin Schleiß als zupackend-direkter Schuldgefühlkloß) wiederfinden möchte. Er lebt in einem unüberwindbaren inneren Gefängnis, aus dem kein Ausbruch gelingen kann.
Denn die Gewalt, die er vom Vater erfuhr (wofür die Mutter jenen umbrachte und ins Gefängnis kam) hat ihn geprägt. Und sie setzt sich auf verstörende Weise fort. All seinen Behauptungen zum Trotz hat er sie nie bewältigt, nie das Leben gelebt, das mit seiner Jugendliebe Enna (Luise Berndt) möglich gewesen wäre. Fern von allen Rollenbildern von Opfer bis Täter: Er kann nicht ins Reine kommen. Es gibt keine simple Lösung.
Also: Wie kann man wieder eine Familie werden? Gar nicht. Das ist der beklemmende Befund, der sich aus dem komplexen Verhältnis der beiden ergibt, fern von heilsamen Plotpoints oder Psychotherapie-Stereotypen. Ein kalter Wind weht durch „Nordstrand“, so unbehaust wie das elterliche Heim. Ungeschönt, unspektakulär, aber beachtlich. Manches im Leben lässt sich nicht reparieren, der Zeiger nicht mehr zurückdrehen.