Blue Caprice

Body Damage: Gesellschaftskritische True-Crime-Meditation mit verstörender Aura und langsam aufpilzender Psycho-Wirkung.

Blue Caprice Cover

Alexandre Moors, USA 2013
ohne deutschen Start
Story: Auf der Karibikinsel Antigua adoptiert John den von seiner Mutter verlassenen 17-jährigen Lee und zieht mit ihm in die Vororte von Washington, D.C. John, dem seine Frau die Töchter nahm, stiftet Lee aus Frust an, mit dem Scharfschützengewehr aus ihrem Wagen heraus wahllos Menschen zu töten.
Von Max Renn

„Amerika tötet jeden Tag Menschen – warum also nicht wir?“ Und weil sich zwei wütende Schwarze für unsichtbar halten, gehen sie auf Killing Spree, starten einen Guerillakrieg gegen die USA, aus Frust über die unfaire Welt. Das alles fand tatsächlich statt: 2002 töteten John Muhammad und Lee Malvo aus einem blauen Chevrolet Caprice rund um die amerikanische Hauptstadt mindestens zehn Personen, bevor man sie fassen konnte.

Musikvideoregisseur Alexandre Moors macht in seinem Indie-Debüt aus den Beltway Sniper Attacks keinen Amokläufer-Krimi, sondern einen wahrhaft schleichenden Horror, der ohne Effekthascherei schockiert, ergo auf Action, Thrill und andere Zutaten verzichtet: In kühlem Grau- und Blau-Spektrum entwickelt sich ein sehr glaubhaftes Vater-Sohn-Drama, dessen Fortgang mit verstörenden Mordtaten einen frösteln lässt.

Zwei Parasiten brüten ungestört kranke Mordpläne aus

Der als maulfauler Tunichtgut vorgestellte Junge beweist die Korrelation von mangelnden Manieren und Amoral: Von vorne herein unehrlich und asozial, mordet er ohne Gewissensbisse. Dennoch nimmt Moors keine vor Wertung, sondern zeigt Sympathy for the Devil, auch wenn ihr selbstgewählter Pfad durch den älteren Verbrechensanstifter mit fortgesetzten Hasspredigten einen eiskalten Abgrund hinunterführt.

Mit Sektenmethodik kreiert der Mastermind (Isaiah Washington, zu oft in B-Actionern wie „Romeo Must Die“, spielt exzellent) ein Killerwerkzeug (Tequan Richmond aus „Ray“): „Ich habe ein Monster geschaffen“, sagt er voller Stolz. Fassungslos sieht man den beiden Parasiten zu, wie sie ungestört ihre kranken Pläne ausbrüten und sich von einem minderbemittelten Redneck (Tim Blake Nelson) das Schießen beibringen lassen.

Erschreckende Allegorie auf die Angriffskriege in Irak und Afghanistan

Wie leicht sie sich bei dem Waffennarr bedienen können, der seine misstrauische Frau (stark wie alle anderen: Joey Lauren Adams, einst in „Chasing Amy“) zurückpfeift, wäre allein schon Gesellschaftskritik genug. Moors geht weiter: Er zeigt auf ein moralisch bankrottes Amerika in abgeblätterten Farben nach dem 11. September, eine Nation, die die Atombombe warf, die Indianer ausrottete und 2002 zwei Rachekriege führt.

Als erschreckende Allegorie auf die Angriffskriege in Irak und Afghanistan fahren die beiden durch die Region zu aus dem Off kommenden Originalnotrufen aus Maryland, verbreiten Angst, Chaos und Schrecken, Shock and Awe. Die Auswirkungen davon sind schauderhaft spürbar durch einen bedachten Stil, der sich mit versonnen-ominösem Ethereal-Chören und stimmigen Bildern in ihre Todesautofahrten versenkt.

Meditation über eine Drift ins Seelendunkel

Ihr als in der Matrix empfundenes Leben, die Sniper-Philosophie, das verdrehte Verhalten, sich selbst als Opfer zu betrachten, bringt eine stille Intensität hervor, die vor ihrem feindseligem Eifer vibriert. Am stärksten ist diese Meditation, wenn sie beider Drift ins Seelendunkel folgt, am schwächsten, wenn sie zu Erklärungen ansetzt. Der weitgehende Verzicht auf Gewalttaten verleiht der Imagination ungeheuerlich Raum.

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