Die Moskauer Prozesse

Vom Ende der russischen Demokratie: Milo Raus Theaterprojekt über die politischen Prozesse u.a. gegen Pussy Riot.

Die Moskauer Prozesse Cover

Milo Rau, D 2014
Kinostart: 20.03.2014, DVD/BD-Start: 22.05.2015
Story: In Moskau kam es anno 2003, 2006 und 2012 zu Schauprozessen gegen die Ausstellungen „Vorsicht! Religion“, „Verbotene Kunst“ und schließlich die Punkband Pussy Riot. Am Sacharow-Zentrum spielen Zeugen, Richter und Anwälte die Verfahren nach, in denen Rechtsstaat und Meinungsfreiheit starben.
Von Sir Real

Fanatischer Nationalismus. Intoleranz. Judenhass. Verfolgung Andersdenkender. Gleichgeschaltete Presse: Deutschland 1933? Mitnichten. Russland 2013! Im hier jüngst besprochenen „Stalingrad“ zeigt das Land, wie es sich selbst sieht, als Nation von Helden, diese Doku über die Nachstellung dreier politischer Prozesse, wie es wirklich ist: Seit zehn Jahren hat Ex-KGB-Mann Putin eine repressive Zaren-Diktatur errichtet.

Mit der medialen Aufmerksamkeit der Olympischen Winterspiele in Sotschi im Rücken startet im März dieses Projekt des Schweizer Soziologen, Theaterregisseurs und Dokumentarfilmers Milo Rau, der seit sieben Jahren mit dem von ihm gegründeten IIPM – dem International Institute of Political Murder – Reenactment-Theater inszeniert („Die letzten Tage der Ceausescus“). Sein Film entlarvt Russland als autoritären Gottesstaat.

Schauprozesse wie gegen Sacharow und Solschenizyn

Forscher führen Putins Reich seit kurzem nicht mehr als Demokratie, sondern als Autokratie. An dem ungleichen Weltsichten-Duell zwischen Reaktion und Liberalismus kann man ablesen, wie sich ein klerikaler Totalitarismus durchgesetzt hat, eine Despotie aus Kirche und Staat, die einen stalinistischen Schauprozess führt, der fatal an jene gegen Sacharow und Solschenizyn erinnert: Dissidenten werden mundtot gemacht.

Aus tief sitzender Angst vor „westlichen“ Werten führen rückwärtsgewandte, beleidigte und aggressive Fundamentalisten einen militanten Verteidigungskrieg gegen das Feindbild Kunst, die sie der kriminellen Blasphemie bezichtigen und ein Exempel statuieren. Der Terror weniger gegen die moderne Kultur gerät zur lächerlichen Gerichtsfarce, die trauriger Ernst ist. Patriarchales, konservatives, traditionelles Denken regiert.

Das bislang totgeschwiegene Event wird über Nacht zum Medienereignis

Das wäre deutlich packender und brisanter, wenn das in blassen Farben daherkommende DV-Material nicht so dröge und spröde aufbereitet wäre, argumentativ ohne jeden emotionalen Höhepunkt auskommend und mit schläfrigem Erzähler versehen. Rau lässt alle Beteiligten in kurzem Interview-Einblendungen zu Wort kommen und sie ihre Meinung kundtun, die diffamierenden Agitationen der Ankläger dominieren freilich.

Womöglich will Rau die orthodoxen Neonazis und ihre intolerante Ideologie vorführen, langweilt aber vorwiegend mit fadem Gerichtsprozedere. Interessant wird es eigentlich erst so richtig, wenn extra aufgehetzte Ultras das Theater stürmen wollen und das bislang totgeschwiegene Event über Nacht zum Medienereignis wird. Als man Rau daraufhin die Einreise verweigert, entlarvt sich das Regime selbst. Eine bittere Pointe.

Bislang kein Trailer online

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