Die Schöne und das Biest

Bei Christophe Gans wird das französische Volksmärchen zur bombastisch-düsteren Euro-Fantasy: leicht kitschig, aber wundervoll.

Die Schöne und das Biest Cover

La belle et la bête, Christophe Gans, FR/D 2014
Kinostart: 01.05.2014, DVD/BD-Start: 04.11.2014
Story: Als ein französischer Kaufmann 1810 sein Vermögen verliert und sich mit seinen sechs verwöhnten Kindern auf einen Landsitz zurückzieht, pflückt er in einem geheimnisvollen Schloss eine Rose, für die der Besitzer, ein verfluchtes Ungeheuer, seine Lieblingstochter Belle fordert, die sich für ihren Vater opfert.
Von Caroline Lin

Man muss sich einen gewissen naiven Blick für die Wunder des Kinos bewahren, dann lässt sich diese bildgewaltige Märchen-Oper in vollen Zügen genießen. Anders als angloamerikanische Heldenepen bleibt Phantastikfreund Christophe Gans („Der Pakt der Wölfe“) der genuin gallischen Volkssage treu und präsentiert mit sagenhafter Lust auf visuelle Pracht eine klassische Mär und ihren erheblichen emotionalen Kern über die Kraft der Liebe.

Mit Jean Cocteaus Klassiker von 1946, der mit geringen Mitteln entstand, hat der im Studio Babelsberg liebevoll ausgestalteter 45-Millionen-Prunk wenig gemein, auch mit Disneys Kinder-Adaptionen nicht – bis auf die castle critters, deren Niedlichkeitsfaktor locker den von „101 Dalmatiner“ erreicht. Cocteaus unterschwellig brodelnde Erotik ist einer Mainstreamtauglichkeit gewichen, die dennoch eine Fülle von Symbolik aufbietet.

Wie Landschaftsgemälde des 18. und 19. Jahrhunderts

Nach zwei gescheiterten Projekten und achtjähriger Pause seit seinem nur visuell überzeugenden Game-Horror „Silent Hill“ findet Gans zurück ins alte Europa. So randvoll mit Computergrafiken – im Dunkel gelungen, im Lichte als solche zu sichtbar – sein schwelgerisches Werk auch ist, die Effekte sind opulent, aber nicht schwülstig – kein Selbstzweck, sondern in der Tradition von „Die roten Schuhe“ und „Hoffmanns Erzählungen“.

Statt Action und Spektakelmanie präsentiert Gans eine Sucht nach ausstattungsdetaillierten Edelkulissen, die sich wie Landschaftsgemälde des 18/19. Jahrhunderts entfalten und mit verzierter Barock-Deko den Augen unendlich schmeicheln. Statt mit rastlosem Pathos erzählt das von Gans mitverfasste Script ohne moderne Hektik akkurat eine Story in einer Story in einer Story, ganz als Vorlesestunde, ernst, aber nie schwer.

Ganz nah an den ursprünglichen Märchen

Sondern würdevoll, mit einer gewissen Verspieltheit – und zwei beschränkten Schwestern als comic relief. Kein „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“-Krampf, sondern ganz nah an den ursprünglichen Märchen. Voller Fantasie und Fabulieren, mit Anleihen bei Rotkäppchen (Léa Seydoux aus „Blau ist eine warme Farbe“ als herb-schöne Belle) und Schneewittchen (André Dussollier fast wie ein Hobbit-Ian-Holm als gutmütiger Vater).

Neben der scheibchenweise enthüllten Liebestragödie am Hof sind es die reichhaltigen Mysterien und Labyrinthe der Freudianischen Traumfantasien, die verschlüsselt für Gefühle, Triebe und eine ganze Menge Psychologie stehen, auch wenn Gans sie mitunter übertrieben ausbuchstabiert. All seine große Effektkunst ist dramaturgisch sinnvoll und mit viel Metaphorik unterlegt, ohne damit hausieren zu gehen.

(Un)Möglichkeit einer Liebe zum Animalischen

Was Belle erlebt, diese Alice im Wunderland, ist die (Un)Möglichkeit einer Liebe zum Animalischen. Diese Szenen sind zu kurz, um zu erklären, warum sie sich in das Biest verliebt – für ein Melodram reicht es nur halb. Doch die alten Deutungen, die den Eigentümer eines wildromantisch verwunschenen Schlosses als Herrn und Monster (Vincent Cassel) zwischen Fleischeslust und Zerfleischen zeigen, haben weiterhin ihre Gültigkeit.

In Gender-Sicht: Ein Mann in ewiger Einsamkeit entwickelt eine monströse, kaum zähmbare Sehnsucht nach Liebe und Tod gleichermaßen, während er als Löwe dem Kultbild seiner verstorbenen Geliebten Blutopfer bringt – ein Hauch von Dracula. Derweil die Maus sich in den Fängen dieser Katze zu behaupten lernt und die männliche (Zauber)Macht mit ihrer Weiblichkeit herausfordert. Jagd statt Liebe ist ein rein maskuliner Fluch.

Männlichen Missetaten stehen weibliche (Natur)Heilkräfte gegenüber

Und Fluch ist in der Tat ein Schlüsselbegriff: Nicht nur derjenige des männlichen Instinkts, zu töten, was man liebt, hat die Verdammung der Götter ausgelöst. Es ist auch der Fluch von Schulden und menschlicher Gier, der hier tobt. Belle ist in Gefangenschaft, weil ihr Vater eine Rose raubte. Zudem ist es die skrupellose Goldgier einer Räuberbande, die den Angriff von griechisch-mythischen Giganten wie einen „Zorn der Titanen“ auslöst.

Der Drang, die Schöpfung, die Natur zu vernichten, komplettiert das Verhängnis. Damit ist Gans’ Saga aktueller, als einem lieb sein kann. All diesen (natürlich männlichen) Missetaten stehen weibliche (Natur)Heilkräfte gegenüber. Frauen nehmen einen Dornenweg auf sich, um jenes Unheil abzuwenden, das Kriminelle wie Perducas (Spaniens Star Eduardo Noriega) heraufbeschwören. Bis Tod oder Seelenrettung die Erlösung bringen.

Prachtvolles Traumgespinst, so verträglich wie verheißungsvoll

So überwältigend auch der Stellenwert der Bilder sein mag, seine heimliche Kraft zieht Gans weder adulte noch infantile, schlicht werkgetreue Umsetzung unseres kulturellen Unterbewusstseins aus der Vieldeutigkeit, in deren Subtext sich Männer in Bestien und wieder zurück verwandeln. Bei all dem gerät dieses prachtvolle Traumgespinst nie gravitätisch, sondern so verträglich wie verheißungsvoll. Wenn man sich darauf einlässt.

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