Planet Deutschland

Deutschland in Länge und Breite, Raum und Zeit: exzellent vielseitige und hochinformative Naturdoku mit erdgeschichtlichem Horizont.

Planet Deutschland Cover

Stefan Schneider, D 2014
Kinostart: 02.10.2014, DVD/BD-Start: 09.04.2015
Story: Vor 300 Millionen Jahren war die heute als Deutschland bekannte Region ein tropischer Farn-Urwald am Äquator. Im Laufe der Erdgeschichte wanderte die Kontinentalplatte nordwärts, die Alpen falteten sich auf, Eispanzer bedeckten das Land. Auf Dinosaurier folgten Säugetiere – und der Mensch.
Von Jochen Plinganz

Flora und Fauna zwischen Alpen und Wattenmeer erhalten eine attraktiv-anregende neue Perspektive. Denn dem aus einer dreiteiligen Fernsehserie hervorgegangenen „Planet Deutschland“ gelingt es spielend, die gewaltigen geologischen Zeiträume durch den seriösen Kommentar von Max Moor begreiflich zu machen. Infotainment der besten Art, mit dem interdisziplinären Wissen von Archäologie, Geologie, Biologie und Paläontologie.

Der Produzent (und mitunter auch Regisseur) Jörn Röver ist federführend bei der aktuellen Welle deutscher Kinodokus von „Serengeti“ (2010) über „Russland – Im Reich der Tiger, Bären und Vulkane“ (2010) bis „Das grüne Wunder – unser Wald“ (2012) und „Die Nordsee – unser Meer“ (2013). Er steht auch hinter diesem nicht nur konzeptuell bislang aufregendsten Naturfilm, den „Terra X“-Regisseur Stefan Schneider inszenierte.

Deutschland heute, gestern und vorgestern

Hat man sich nach ein paar gestelzten Worten auf die sonore Stimme von Moderator Moor eingelassen, belohnt der vielseitige und kurzweilige Streifzug unermüdlich mit einem raschen, aber nie hektischen Überblick, dessen Dimensionen den Horizont erheblich erweitern. Selbst ein jubilierendes Orchester geht nur anfangs in die Vollen und begleitet variabel und unaufdringlich den Fortgang dieser Reise in die (Erd)Geschichte.

Spielszenen von Ausgrabungen, Jagdszenen von Urzeitmenschen und Neandertalern sind Standard-Kunstgriffe einer dem Populären verpflichteten Doku. Das hätte es nicht gebraucht. Man kann es aber verwinden, weil Grafiken und Animationen der Kontinentalbewegungen sie ergänzen. Schneiders Film hätte vordergründig Spannungssequenzen gar nicht nötig, weil das gut aufbereitete Expertenwissen auch so überzeugt.

Wunderbar erhellend, egal wie viel Vorwissen man mitbringt

Die Vorzüge eines Naturfilms, der bekannte wie seltene Tierarten zeigt, darunter Tannenhäher, Gebirgsstelze und Rohrweihe, nutzt er ohnehin souverän aus. Stilmittel Nummer eins sind Zeitlupenstudien zum Genießen, dazu stimmungsvolle Landschaftsimpressionen. In feschen Zeitraffern und großen Zeitsprüngen erklärt er deren evolutionäre Genese und Erbe, vergleicht das Heute mit dem Gestern und dem Vorgestern.

Und das ist der wirklich aufregende Schlüsselreiz, der die Spektakel Vulkanausbruch, Flutwellen und Meteoriteneinschlag in den Schatten stellt und den ewigen Wandel des Lebensraums begreifen lässt. Das ist wunderbar erhellend, egal wie viel Vorwissen man für diese perfekte Schuldoppelstunde mitbringt. Man lernt aus globaler Sicht seine Heimat kennen, die Wüste, Dschungel, Meer und mehrfach Eiswüste war.

Erklärt die Herkunft berühmter Fleckchen unseres Landes

Schneider schlägt Brücken durch die Zeit: Aus einem Äquatorwald aus 20-Meter-Farnbäumen mit Rieseninsekten werden heutige Kohleflöze, aus Salzwüsten die Berchtesgadener Salinen. Er springt von Ausgrabungsstellen des „schwäbischen Lindwurm“ oder des Sollnhofeners Archäopterix in die fernen Vorzeiten des Jurassic Park Deutschlands. Gott sei Dank sind die steif animierten Dinos nur selten, echte Tiere viel häufiger im Bild.

Dem hätte man gewiss etwas mehr technische Brillanz und Schärfe gewünscht, damit der Makro- und Mikrokosmos deutlich beeindruckender ausgefallen wäre. Aber das erhellende Spotlight-Konzept, die Herkunft berühmter Fleckchen unseres Landes – der Rheinfall bei Schaffhausen, das Elbsandsteingebirge, die Rügener Kreidefelsen – zu erklären, ergibt eine bewegte Gesamtschau, ein sehenswertes Geschichtskaleidoskop.

Geschickt zusammengeraffte Natur- und Kulturgeschichte

Die geschickt zusammengeraffte Natur- und Kulturgeschichte nimmt auch den mythischen Wald auf ihrem Weg zur Humanhistorie mit, wenn Frühmenschenfunde wie die Primatin Ida der Grube Messel, die Neandertaler Mettmanns oder der Homo Heidelbergensis die Vorhut unserer Spezies bilden. Schneider zeichnet nach, wie wir seit der neolithischen Revolution die Landschaft formen und die Natur zerstören.

In elegant-stimmigen Überflügen, bildlich wie metaphorisch, streift er aufschlussreich durch die Äonen und verbindet sie anschaulich zu einem großartigen, lehrreichen Blick auf die keineswegs heute beendete Geschichte der Erde und des Menschen. Unser Wirken und Dasein in diesen großen, epochalen Zusammenhang zu betten, erweitert das Verständnis ungemein und entdeckt unterhaltsam Neues in vertrauter Heimat.

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