Wolfskinder

Ein erschütterndes Horror-Schicksal schildert in leisen Tönen der Überlebenskampf deutscher Kinder im sowjetisch besetzten Ostpreußen.

Wolfskinder Cover

Rick Ostermann, D 2013
Kinostart: 28.08.2014
Story: Sommer 1946. Die sterbende Mutter schickt den 14-jährigen Hans und seinen neunjährigen Bruder Fritzchen nach Osten. Sie sollen sich über die Memel nach Litauen zu einem Hof Bekannter durchschlagen. Auf der Hunger-Odyssee durch die Wildnis machen Rotarmisten Jagd auf sie und andere schutzlose Kinder.
Von Thorsten Krüger

Geschätzt 25.000 elternlose deutsche Kinder irrten nach Kriegsende im von den Russen eroberten Ostpreußen und Litauen auf der Suche nach Nahrung, Obhut und Hilfe umher – nur wenige Hundert (!) haben überlebt. Die Öffentlichkeit ignoriert ihr Schicksal bis heute konsequent, Rick Ostermann, Regieassistent von Lars Kraume („Meine Schwestern“), der hier koproduziert, zeigt eindringlich ihr Ringen um Leben und Identität.

Historische Hintergründe und politischer Kontext spart er wohlweislich aus und konzentriert sich ganz auf den archaischen Aspekt des körperlichen Kummers dieser Verlassenen auf ihrer Odyssee durch ein fremdes Land, das bis vor kurzem ihre Heimat war. In dem von den Erlebnissen Ostermanns eigener Mutter inspirierten Drehbuch besticht ihr Überlebenskampf um die nackte Existenz durch eine wunderschöne Naturidylle.

Von Rotarmisten als Freiwild betrachtet

Die Kamera von Leah Striker („Stiller Sommer“) lichtet die einsamen Wälder und Wiesen des Memellandes in ihrer puren, naturalistischen Anmut ab. Die trügerische Ruhe der Waldlandschaften steht im beklemmenden Kontrast zu den vogelfreien, verstörten Waisenkindern, die einzeln oder in Gruppen zu überleben versuchen, während die plündernden Rotarmisten sie als Freiwild betrachten und auf sie wie auf Tontauben schießen.

„Vergesst nie, wer ihr seid“, das sind die letzten Worte ihrer an Entkräftung sterbenden Mutter (Jördis Triebel, „Westen“, der Rest der Besetzung besteht aus Laiendarstellern), mit der sie sich in einer alten Wehrturmruine vor der marodierenden Soldateska versteckt halten. Aber sie selbst zu bleiben, ist unmöglich. Die Brüder müssen zu Fuß über Feldwege nach Litauen, wo ihnen wohlgesinnte Bauern sie aufnehmen sollen.

Verdrängte Weltkriegs-Opfer zweiter Klasse

Im Kreuzfeuer der Russen verlieren sie sich, Hans schließt sich Christel und zwei jüngeren Kindern an. Die neuen Herren der Gehöfte hetzen erbarmungslos Hunde auf sie, nur bei wenigen können sie um Essen betteln und ihre Wunden versorgen lassen. Auch als sie bei litauischen Partisanen unterkommen, ähnlich wie in „Defiance“, sind ihnen nur kurze Atempausen einer endlosen Flucht vergönnt, bevor die Hatz auf sie weitergeht.

Diese fordert viele Opfer, was Ostermann nüchtern, emotionslos und komplett undramatisch aufzeigt. Er entsagt allem Melodramatischen und Spekulativen, wodurch die schmerzhaft schönen Bilder des grausamen Leidenswegs eine elegische Wirkung entfalten. Es gibt wenig Dialoge – die Traumatisierten sind verstummt; es gibt auch kaum etwas zu sagen. Und wenn doch, rauben die hölzernen Zeilen bisweilen die Kraft des Films.

Ein Kloß-im-Hals-Film mit stiller Wucht

Die liegt nämlich in den Bildern, die sich zu leisen musikalischen Regungen und der Geräuschkulisse der Wildnis entfalten können. In dieser Erzählung entwickeln Sprachlosigkeit und Identitätsverlust, Unschuld und Tod, das stille Leiden jener, deren Kindheit abrupt endete, beträchtliche Wucht. Gerade deshalb, weil sie gedämpft und neutral ist, um eine Verklärung dieser verdrängten Opfer zweiter Klasse zu vermeiden.

Eigentlich müsste dies einen von den Füßen fegen. Weil es sich aber allen Trauer-Regungen entsagt, gewinnt es eine innere Stärke, die mit der Konsequenz der Schilderung und dem kunstvollen Arthaus-Handwerk dennoch beeindruckt. Ein Kloß-im-Hals-Film, auch im Wissen darum, dass der deutsche Staat die Wolfskinder nach wie vor nicht voll anerkennt und ihnen finanzielle Unterstützung meist verweigert. Eine Schande.

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