Story: Minenarbeiter Dahai landet im Krankenhaus, als er gegen die korrupten Machenschaften neureicher Parvenüs vorgehen will – und greift er zur Schrotflinte. Ein Wanderarbeiter entdeckt derweil den Raubmörder in sich, eine Rezeptionistin erwehrt sich dreister Grapscher und ein Mann versucht den Neuanfang.
Von Thorsten Krüger
Zhangke Jia (Goldener-Löwe-Gewinner mit dem poetisch-politischen „Still Life“) hat aus sich vier knapp überlappenden Episoden ein toxisch-nihilistisches Gesellschaftspanorama über das Reich der Mitte gebraut, wo ungefiltert und eindringlich Underdogs, einfache Bürger und unterprivilegierte Wanderarbeiter in einem Land am Nullpunkt – klimatisch, moralisch, menschlich – ihre (Auto)Aggressionen ausleben.
Matti Bauer, D 2013
Kinostart: 19.06.2014, DVD/BD-Start: 21.11.2014
Über fast zehn Jahre dokumentiert der Münchner Regisseur und Völkerkundler Matti Bauer (bekannt für „Lokalderby“ über die Fußballrivalen FC Bayern/1860 München sowie „Domspatzen“ über den Regensburger Knabenchor) im bayerischen Oberland das Leben der Bäuerin Uschi, die lieber um die Welt reist und als Sennerin den Sommer auf der Alm verbringt, als den elterlichen Hof zu übernehmen. Ein Langzeitporträt – auf bayerisch mit deutschen Untertiteln – über die Selbstfindung einer jungen Frau, leider nicht ansatzweise mit jenen emotionalen Effekten, die Richard Linklater in „Boyhood“ zustande bringt.
Suspensereicher Polizeithriller, der statt auf Actionrasanz auf ein eindringliches Moraldrama um Berufsehre und Mordanreize setzt.
Wara no tate, aka Shield of Straw, Takashi Miike, J 2013
Kinostart: 10.07.2014, DVD/BD-Start: 06.11.2014
Story: Kinderschänder Kiyomaru hat eine Siebenjährige ermordet. Deren schwer reicher Großvater Ninagawa lobt eine Billionen Yen aus für den, der den verurteilten Sexualsadisten tötet. Als der sich der Polizei stellt, sollen fünf loyale Beamte ihn binnen 48 Stunden ins ferne Tokio geleiten; und ganz Japan jagt sie.
Von Thorsten Krüger
Takashi Miike hat kaum ein Genre und Tabu („Ichi the Killer“) ausgelassen. Aber seine Flegeljahre sind vorbei, die Perversions-Krone trägt Shion Sono („Why Don’t You Play in Hell?“) und der Fließbandfilmer (fast 100 Titel in 25 Jahren) dreht nun Mainstream. Allerdings auf gehobenen Niveau in diesem straighten Polizeithriller mit mehr Drama denn Action und einem nicht immer glaubhaft auf die Spitze getriebenen Moraldilemma.
Schleppendes Indie-Sci-Fi-Drama um einen Forscher, dessen Entdeckung ihn mit mystischen Dimensionen konfrontiert.
Mike Cahill, USA 2014
Kinostart: 25.09.2014
Story: Der junge Mikrobiologe Ian erforscht mit seiner Erstsemester-Assistentin Karen die Evolution des Auges. Als ihm ein Durchbruch bei der Konstruktion gelingt, stirbt seine mysteriöse Freundin Sofi. Sieben Jahre später entdeckt er bei einem Augentest seines Sohns mit Karen Sofis einzigartiges Irismuster wieder.
Von Max Renn
Was wäre, wenn es Reinkarnation wirklich gäbe? Nichts gegen Buddhismus light, aber Mike Cahills Zweitwerk nach seinem starken Einstand „Another Earth“ ist ein schleppendes Lo-Fi-Indiedrama mit dem Flair einer auf zwei Stunden gestreckten Kurzgeschichte. Erst das Ende belohnt für die lange Zeit selbstgefällige, schneckenlahme und prätentiöse Mühsal über den Uralt-Konflikt zwischen Szientismus und Mystik.
Ein erschütterndes Horror-Schicksal schildert in leisen Tönen der Überlebenskampf deutscher Kinder im sowjetisch besetzten Ostpreußen.
Rick Ostermann, D 2013
Kinostart: 28.08.2014
Story: Sommer 1946. Die sterbende Mutter schickt den 14-jährigen Hans und seinen neunjährigen Bruder Fritzchen nach Osten. Sie sollen sich über die Memel nach Litauen zu einem Hof Bekannter durchschlagen. Auf der Hunger-Odyssee durch die Wildnis machen Rotarmisten Jagd auf sie und andere schutzlose Kinder.
Von Thorsten Krüger
Geschätzt 25.000 elternlose deutsche Kinder irrten nach Kriegsende im von den Russen eroberten Ostpreußen und Litauen auf der Suche nach Nahrung, Obhut und Hilfe umher – nur wenige Hundert (!) haben überlebt. Die Öffentlichkeit ignoriert ihr Schicksal bis heute konsequent, Rick Ostermann, Regieassistent von Lars Kraume („Meine Schwestern“), der hier koproduziert, zeigt eindringlich ihr Ringen um Leben und Identität.
Überwältigendes Historienmelodram um eine Mulattin, die Menschenrechte in einer rassistischen Gesellschaft einfordert.
Amma Asante, GB 2013
Kinostart: 14.08.2014, DVD/BD-Start: 15.01.2015
Story: Als illegitime Tochter eines Admirals und einer afrikanischen Sklavin wächst die farbige Dido ab 1769 zusammen mit ihrer Halbcousine beim aristokratischen Onkel, dem Earl von Mansfield, nahe London in einem goldenen Käfig auf. Bis sie den Rassismus im britischen Sklavenreich nicht mehr hinnehmen will.
Von Caroline Lin
Was „12 Years a Slave“ als naturalistisch-direkte, kaum erträgliche Brutalitätserfahrung abhandelte, dem widmet sich der zweite Film der britisch-ghanaischen Regisseurin Amma Asante („A Way of Life“) als scharfsichtiges Gesellschaftsdrama, das die Formeln des Jane-Austen-Kostümdramas schlau nutzt, um daraus ein unbedingt bewegendes Erlebnis zu Frauen- und Menschenrechten, Rassismus, Kolonialismus und Sklaverei zu gestalten.
Dr. Peter Bardehle, Lena Leonhardt, D 2014
Kinostart: 21.08.2014, DVD/BD-Start: 28.01.2015
Der Rhein, diese mitteleuropäische Lebensader, bis auf zwei Einstellungen auf einem Boot ausschließlich aus der Vogelperspektive gefilmt – eine komplett mit dem Helikopter-Kamerasytsem Cineflex entstandene Doku nach Art von „Deutschland von oben“. So atemberaubend und feinsinnig wie „Die Alpen – Unsere Berge von oben“ fällt die über zwei Jahre hinweg entstandene Arbeit von Dr. Peter Bardehle (Kamera zu „Die Ostsee von oben“ und „Die Nordsee von oben“) und Debütantin Lena Leonhardt zwar nicht aus; aber interessant und informativ genug, auch wenn dem bestechenden visuellen Konzept des Schweben, Driftens und Kreisens thematisch eine gewisse Schwammigkeit gegenübersteht.
Weinselige Charakterschweinkomödie, die arthausig-skurril einen temperamentvollen Troll aus dem Depressionssaufen holt.
Zoran il mio nipote scemo, Matteo Oleotto, I 2013
Kinostart: 19.06.2014, DVD/BD-Start: 05.12.2014
Story: Der versoffene Misanthrop Paolo verbringt die Tage in der Stammtaverne seines nordostitalienischen Dorfes, als er von einer vergessenen slowenischen Tante den 15-jährigen Zoran erbt. Den hält er für einen Idioten, bis er sein Darts-Talent entdeckt, mit dem er reich werden und seine Ex zurückgewinnen will.
Von Gnaghi
Nach dem Natur- und Geisterhorror „Across the River“ kommt binnen kurzem ein zweiter Film aus der nordostitalienischen Region um Friaul in unsere Kinos. Matteo Oleottos Spielfilmerstling bedingt freilich nicht Furcht, sondern Vergnügen und funktioniert als erdfarbene Charakterstudie, in dem die Leistung von Giuseppe Battiston („Brot & Tulpen“, zuletzt in „Venezianische Freundschaft“) ein beachtlich boshaftes Vergnügen bereitet.
Eine Nacht, ein Auto, ein Mann: das One-Man-Road-Drama mit Tom Hardy ist ein brillantes Lehrstück über Charakter und Verantwortung.
Locke, Steven Knight, GB/USA 2013
Kinostart: 19.06.2014, DVD/BD-Start: 23.10.2014
Story: Der gewissenhafte Bauleiter Ivan Locke steigt nach Dienstschluss in seinen Wagen, um zu einer Frau nach London zu fahren, die seinen Beistand braucht. Diese Entscheidung am Telefon Gattin und Chef zu erklären sowie eine wichtige Baumaßnahme zu koordinieren, setzt seine Existenz aufs Spiel.
Von Thorsten Krüger
Für sein Script zu „Kleine schmutzige Tricks“ wurde er oscarnominiert, für den im Original schlicht „Locke“ betitelten Regiezweitling gab es den British Independent Award – beides völlig zu Recht: Der Engländer Steven Knight wagt ein Experiment, das kein Budget, aber ein vielschichtiges Script und den fabelhaften Tom Hardy („Inception“, bald der neue „Mad Max“) als einzig sichtbaren Darsteller einer Existenzkrise hat.
Tom Berninger, USA 2013
Kinostart: 10.07.2014, DVD/BD-Start: 10.10.2014
Dies ist kein Musikfilm der angesagten US-Indie-Rocker „The National“. Und auch keine Tour-Doku, obwohl der Regisseur das ursprünglich avisierte. Der indes das unbedingt komische wie anrührende Porträt zweier gegensätzlicher Brüder hervorbrachte, mithin von sich selbst und dem Leadsänger der Band. Eine mutige Art der Selbstherapie, die Bruderdynamiken aufzeigt, zügig und munter, hinreißend und herzöffnend einen schmerzhaften Reifeprozess schildert. Anlass ist die High-Violet-Welttournee der New Yorker, für die Leadsänger Matt Berninger seinen neun Jahre jüngeren Slacker-Bruder Tom als Roadie einspannt, der unbedarft mit der Videokamera anrückt.
Ein kleiner Marienkäfer im Ameisenkrieg: pfiffig-innovatives 3D-Tierabenteuer, eine Entdeckung und pures Familien-Vergnügen.
Minuscule – La vallée des fourmis perdues, aka Minuscule: Valley of the Lost Ants, Hélène Giraud, Thomas Szabo, FR/BE 2013, Kinostart: 14.01.2016, DVD/BD-Start: 14.05.2016
Story: Als ein Pärchen eilig vom Picknick aufbrechen muss, macht sich ein Trupp Ameisen über die Dose mit Zuckerwürfeln her, um sie zu ihrem Hügel zu schleppen. Blinder Passagier ist ein ängstliches Marienkäfer-Junges, das die Emsen geschickt vor Fressfeinden und aggressiven roten Artgenossen bewahrt.
Von Caroline Lin
Gute Filme brauchen keine Dialoge – aber Trompete! Und was für eine. Mit dem, wie alle Insekten, drollig animierten Maikäferküken vor realem Hintergrund stellt sich ein unwahrscheinlicher Mini-Held („minuscule“ heißt winzig) vor, ein pfiffiges Kerlchen, das man sofort ins Herz schließt. Das kurz nach seinem Ausschlüpfen verlorene Junges trägt mühelos den Kinofilm nach der in Frankreich beliebten TV-Animations-Serie.
Zwei-Personen-Geschlechterdrama à la August Strindberg – mit Stanley Tucci als kontrovers Hassliebender.
Some Velvet Morning, Neil LaBute, USA 2013
DVD/BD-Start: 02.10.2014
Story: Fred hat nach 24 Jahren seine Frau verlassen und steht nun vor der Tür von Velvet, mit der er einmal eine Affäre hatte. An ihren freien Tag nistet sich der Überraschungsbesuch bei ihr ein, bedroht und manipuliert sie erst verbal, dann körperlich. Velvet ist zu höflich, um den aggressiven Gast der Tür zu verweisen.
Von Sir Real
Neil LaBute kehrt zu seinen Ursprüngen als Bühnenautor zurück und rückt nahe an sein Indie-Debüt von 1996, als er mit „In the Company of Men“ einen schweren Machtspielbrocken zwischen Frauen und Männern effektuierte. Sein Zynismus und die Misogynie bleiben vordringliche Ausprägungen auch in dieser großen Hommage an sein ihm sehr verwandtes Vorbild, den schwedischen Dramatiker August Strindberg.