Kinostart: 11.09.2014
Eine frauenfeindliche, mittelalterlich-patriarchale Tradition – nicht Religion – vergiftet einen eigentlich anständigen jungen Mann, der in dem traurig-humanistischen, bewegenden Heranreifungsdrama on the road Alternativen zu seinem engstirnigen Ehrbegriff entdeckt. Eine kathartische Reise zu den Unsichtbaren und Illegalen des Kontinents, womit Debütant Hisham Zaman einen Essay zu Fremdheit, Kultur und Freundschaft anbringt.
Mit stilistischer, bündig-nüchterner Klarheit geht der aus Kurdistan stammende Norweger auf eine rurale Stammeskultur ein, die ihre kranken Auswüchse bis ins ferne Oslo schickt. Anstatt vorschnell zu verurteilen, erforscht Zaman das Geschehen aus Sicht der Partizipienten (hervorragend agierende Laien), was dies zu einem großem Erlebnis macht. Leise Musik trägt Gefühle heran, lyrische Passagen und Gesang öffnen das Herz.
Zaman folgt mit genau der richtigen, vorsichtigen Dosis Poesie und Melancholie dem verschlossen-einsilbigen Siyar, der nur ein Ziel kennt – seine weggelaufene Schwester finden und töten – und trotz aller kosmopolitischen Etappen doch verhängnisvoll in seiner Beschränktheit gefangen bleibt, was eine nuancierte, komplexe Tragödie bedingt. In der Großstadt Istanbul erleidet er einen Kulturschock – und trifft ein gleichaltriges Mädchen.
Die als Junge verkleidete Straßendiebin Evin will im Subplot ihren Vater in Berlin finden, was wie die aufkeimende Zuneigung zwischen ihr und Siyar nahegehend von Migration und komplizierten Familiensituationen erzählt. Aber sie fungiert auch als Siyars Gewissen, das sich hinter der strengen Zornesfalte des fokussierten Einzelgängers zu regen beginnt, obwohl er noch mit Gewehr und Messer ein freies Liebespaar jagt.
Neben der sanft aufwühlenden Menschwerdung, Zwangsheirat und Ehrenmord zu hinterfragen, gelingt es durch die hervorragende fotografierten Drehorte, das sozialkritische Anliegen von Schmuggelrouten, Schleppern und einer Unterschicht mitten in Europa hautnah authentisch einzufangen. Zaman zeigt das Leben im Untergrund ebenso wie die todbringende Tradition, ohne sich Lösungen für diese Probleme anzumaßen.
Von der Spannung abgesehen, ob erwachende Liebe Siyar von seiner kaltherzig Schandtat abhalten kann und sein verbohrtes Wertesystem aufbricht, sprechen die emotional aufgeladenen Erinnerungen längst eine andere Sprache. Aber er geht einen Weg, auf dem ihm keiner folgen kann – wer den Tod bringt, wird den Tod finden. Am melodramatischen Ende stehen gleich drei Frauen in Trauer, weil Männer nur Gewalt statt Frieden kennen.
Und solche kleinen Gemmen hier zu empfehlen macht am meisten Spaß!
Muss ja auch nicht jeder Film für die massen angepriesen werden. Ich erfreue mich zwischendurch auch gerne an seltenen Schmuckstücken 🙂
Das haben leider die wenigsten – und eine Werbekampagne à la “Guardians of the Galaxy” dürfte es kaum geben…
Klingt wirklich sehenswert. Habe vorher nicht von dem Film gehört.