W. Witse – The Movie

Der würdige Kinoabschuss der belgischen Erfolgsserie ist ein bündiger, nahegehender Hybrid aus Psychokrimi und Serienkillerthriller.

W. Witse - The Movie Cover

W. Witse – de film, Frank van Mechelen, B 2014
ohne deutschen Start
Story: Der seit Kurzem zurückgezogen in Rente lebende Ex-Kommissar Witse erhält ungebetenen Besuch von seiner Schwester, die er 30 Jahre nicht sah: Ihre Tochter Maggie wurde ermordet und die Polizei tut nichts. Denn die Tote lag an einem britischen Soldatenfriedhof. Und sie ist beileibe nicht das einzige Opfer.
Von Thorsten Krüger

Vergleicht man die ästhetisch, atmosphärisch und organisch gestaltete Crimework des Flamen Frank van Mechelen, der mit „Der Eindringling“ vor neun Jahren einen düsteren Thrillerhit landete, mit dem aseptisch Ödnisniveau, mit dem einen die deutsche „Tatort“-Reihe traktiert, ist eine Verbeugung vor den Belgiern fällig, die ja kürzlich erst den schaurig-beklemmenden Pädophilen-Thriller „The Treatment“ exportierten.

Der konzis gebündelte Hybrid aus Serienkiller-Krimi, von Erinnerungen durchsetzter Psychostudie und Polizeiarbeit basiert auf der erfolgreichen heimischen TV-Krimi/Polizeiserie „Witse“, die es von 2004 bis 2012 auf neun Staffeln brachte und von einem Millionenpublikum verfolgt wurde. Der damit berühmt gewordene Hauptdarsteller Hubert Damen verkörpert wieder den inzwischen pensionierten Kommissar, ein wohlsituierter Senior.

Geht mit knappen Andeutungen tief ins Persönliche

Ohne das Privatleben auszubreiten, geht van Mechelem mit knappen Andeutungen tief ins Persönliche dieses Werenfried Witse, der seine Schwester Maggie brüsk zurückweist, als sie nach drei Dekaden Funkstille vor seiner Tür steht und um Hilfe bittet: Ihre erwachsene Tochter Rosie wurde brutal ermordet, die Behörden halten den Fall aus politischen Gründen geheim und keiner weiß, dass sie die mit ihrer Schuld kämpfende Mutter ist.

Denn zu den 100-Jahr-Gedenkfeiern des Ersten Weltkriegs will niemand schlechte Presse für die britischen Kriegsgräber, wo die Leiche lag. Wie nun Witses kriminalistischer Instinkt erwacht und er mit seiner Erfahrung die widerwilligen Kollegen erst auf die Spur eines Sexualtäters bringt, der Frauen stundenlang zu Tode foltert und dabei extreme Gewaltformen auslebt, ist in ganz frappierender, blutrünstig-barbarischer Kälte erfahrbar.

Erzielt einige emotionale Wirkungstreffer

Das ähnelt etwas „Cold in July“, verzichtet aber auf den „8mm“-Moment, sondern geriert sich als melancholisch-straffer Profi-Krimi, dessen flinke Montage um die Untaten eines Serienmörders einige emotionale Wirkungstreffer erzielt. Als Witse die Identität eines S/M-Pornofans übernimmt, der in Polizeigewahrsam den Amoksuizid wählt, ködert er den Psychopathen Dax via Goya-Gemälden bei der langwierigen Suche in Chatrooms.

Ein Hauch Hannibal liegt darin, aber van Mechelem überträgt das Script von Ward Hulselmans, der 80 (!) TV-Episoden schrieb, in keine ikonografischen Derivate, sondern findet in dem blaugrünen Look, der auch an Sommertagen frösteln lässt, zugleich aber sehr einfühlsam Schicksal und Traurigkeit (besonders der Schwester) aufspürt, eine eigene Ausdrucksform, die auch inhaltlich ungewöhnliche Richtungen beschreitet.

Schlägt eine Brücke ins Weltkriegsjahr 1914

Selbst wenn die Ermittlungen mit dem inoffiziell helfenden Witse aufreiben, zählen doch mehr das Überschreiten seiner psychischen Belastungsgrenze, bis der obsessiv mit der Suche nach einem gnadenlosen Sadisten Überforderte einen Zusammenbruch erleidet. Nicht umsonst begleitet Trauermusik Flashbacks, in denen er seiner Schwester Unrecht tat und ein Freund beim Spiel mit einer Weltkriegsgranate zerrissen wurde.

Ganz ohne handelsübliche Thrill-und-Action-Formeln (siehe nochmal: „Tatort“) schlägt van Mechelem mit kompakter Mobilität eine Brücke ins Jahr 1914, nicht nur, wenn man Knochen eines Soldaten findet, der keine 19 Jahre alt wurde. Alte innere Wunden und Erschöpfungen gehen in einen erlösenden Abschied einer jahrelang so beliebten Figur über, ein Abschluss, der auch moralische Ambivalenzen kennt und so erstaunt wie nahegeht.

Trailer nur auf niederländisch:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.