Kinostart: 29.05.2014, DVD/BD-Start: 02.10.2014
Sympathy For the Devil: Im Zuge der Neuverföhnung beliebter Märchenklassiker, seit „Shrek“ eine populäre Disziplin, revidiert auch diese verblüffend progressive, mindestens so unterhaltsame wie nahegehende Neujustierung das Bild der bösen Fee Maleficent, seit 1959 schillernder Kinderzimmerschreck, als Mitgefühl erweckende (Schwarz)Magierin. Mithin zeigt sich, wie konservativ-verstaubt „Dornröschen“ eigentlich war.
Bemerkenswert, wie – für das Maus-Haus nachgerade sagenhaft – düster und erwachsen dieses Real-Fantasy-Spektakel ausfällt. Noch erstaunlicher, wie Robert Stromberg, Experte für visuelle Effekte, von „Pirates of the Caribbean“ bis „Die Tribute von Panem“, das Vorurteil des mit Emotionen überforderten Technizisten widerlegt und sich als versierter Erzählmeister zeigt, der unorthodox Geschlechterrollen auf den Kopf stellt.
Am eindrucksvollsten aber: Dass es Angelina Jolie, die mir sonst stets blass und banal vorkommt, hier erstmals schafft, mich mit einer Darbietung zu berühren. Ihre Schmerzensschreie, als ihr die imposanten Flügel abgeschnitten werden, gehen durchs Mark. Der Marlene-Dietrich-Typus mit der rauchig-tiefen Stimme und den unnatürlich hohen Wangenknochen wirkt wie geschaffen für ein Feenwesen mit mächtiger Zauberkraft.
Südafrikaner Sharlto Copley („Elysium“) indes ist einfach der geborene, uncharismatische Fiesling, dem als König jede Wärme abgeht und der Maleficents Freundschaft und Liebe verrät – auf dass die Verstümmelte eine Dornenmauer um ihr Reich und Herz errichten muss, um sich menschlicher Gier, Rachsucht und Neid zu erwehren. Das Opfer wird zur sarkastischen Misanthropin, die hämisch Hexerei-Streiche spielt.
Wie die böse Hexe des Westens aus Sam Raimis großartigem „Die fantastische Welt von Oz“, doch mit gutem Kern und Patenmutter von Aurora (Elle Fanning). Die erkennt rasch, wie Diaval, ihr verzauberter, würdevoll-melancholischer Raben-Diener (klasse: Sam Riley aus „Control“) Maleficents Güte und erwidert sie mit Zuneigung. Beide wohnen empathisch ihrer Tragödie bei, keine menschliche Liebe mehr in ihr Herz lassen zu können.
Die Zynikerin, deren tiefgefrorene Gefühlswelt dadurch nach und nach auftaut, muss erfahren, wie Revanche-Taten das Leben anderer negativ verändern und emotional auf sie zurückfallen, bis sie es zutiefst bedauert. Aber ihr Fluch ist nicht reversibel, das Schicksal nimmt seinen Lauf und findet weit emanzipiertere und weniger aufdringliche Lösungen als „Merida“, beschenkt auf dem Weg dorthin mit stattlichem Sense of Wonder.
Linda Woolvertons Script fällt wesentlich besser aus als ihre Vorlage für Tim Burtons letztlich schwachen „Alice im Wunderland“. Den modernen Sehgewohnheiten indes sind beachtlicher Kreatur- und Effektreichtum geschuldet. Rasante Schlachten-und-Drachen-Action für die 3D-Reihen mit den Kinohobbits sind Pflicht, wenn auch nicht so extensiv wie bei „Drachenzähmen leicht gemacht 2“. Zu bewundern in voller Düsterpracht.
Die aber natürlich genug durch helle Blumen und drollige Komik aufgelockert wird. Da Maleficent zu abgründig auszufallen droht, müssen drei dumpfbackige, sich kindisch kabbelnde Flatterfeen für – keineswegs zu niedliche – „Tinkerbell“-Heiterkeit sorgen. Das Maß an männlicher, verbohrter Brutalität kommt indessen Christophe Gans’ unterschätztem „Die Schöne und das Biest“ nahe – und definiert dazu wahre Liebe neu.