Der Kreis

Der Kreis Cover

Stefan Haupt, CH 2014
Kinostart: 23.10.2014

Liebe ist kein Verbrechen – außer man war homosexuell und unterlag in Deutschland dem erst 1994 endgültig gestrichenen Paragraf 175 (oder lebt heute in Serbien oder Russland). In der liberaleren Schweiz immerhin gab es im mondänen Zürich von 1943-1967 die Kunst- und Literaturzeitschrift „Der Kreis“, die große Bedeutung für die Homosexuellenbewegung der Nachkriegszeit erlangte. Ihre Historie – anhand der Liebesgeschichte eines damit verbundenen Paares – erzählt Stefan Haupt („Elisabeth Kübler-Ross“) aus finanziellen Gründen notgedrungen als Doku-Drama.

Was aber gestalterisch eine gute Entscheidung ist: Die 2003 nach Jahrzehnten heimlicher Liebe offiziell verheirateten Ernst Ostertag und Röbi Rapp und andere Zeitzeugen erinnern sich in Interviewausschnitten. Diese flicht Haupt in ein Drama ein, in dem sie sich als junger Lehrer Ernst (Matthias Hungerbühler) und Friseur Röbi (Sven Schelker) bei dessen Travestieauftritt als Hobby-Chansonniere kennen lernen. Im Magazin mit bis zu 2000 Abonnenten mogeln sie subversiv schwules Kulturgut unter den Augen der Zensoren ein oder schmuggeln es über die Grenze nach Deutschland, wo es natürlich auf dem Index steht (wo alles landete und immer noch landet, was einigermaßen interessant ist).

Wenig geläufige Geschichte europäischer Schwuler

Doku und Fiktion ergänzen sich trefflich. Das in angemessene Retrobrauntöne und stilvolle Musik getauchte, oft gefühlvolle Kammerdrama in Kellern, Mietzimmern und Privatclubs hat träumerische Momente ebenso wie die allgegenwärtige Angst vor Entlarvung und Denunziation. Mit Marianne Sägebrecht (als Röbis liebevolle Mutter) und „Ein Quantum Trost“-Mitstreiter Anatole Taubmann (als Eifersuchtsgrund) begibt sich die Zeitgeschichte dann in die Abgründe polizeistaatlicher Willkür und widerlicher Repressionen.

Strichermorde an Schwulen sind der Anlass, Opfer zu Tätern umzudefinieren und eine mit Hasspropaganda flankierte Schwulenjagd zu beginnen, die mit Demütigungen, Erpressung und schwerer Misshandlung 1967 zum Aus für die gemeinschaftliche Zeitschrift führt – keine 40 Jahre her und in so vielen Teilen der Welt in diesem Augenblick Praxis. Eine kleine, wenig geläufige Geschichte europäischer Schwuler, kein überwältigender Triumphzug wie „Pride“, sondern Aufschlussreiches aus einem vergangenen Subkultur-Hotspot, gekrönt mit dem Teddy Award der Berlinale.

Thorsten Krüger

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