Anderswo

Durchwachsen und doch bewegend: Ester Amramis organisches Drama über eine doppelt heimatlos Selbstsuchende zwischen Berlin und Israel.

Anderswo Cover

Ester Amrami, D 2014
Kinostart: 29.01.2015
Story: Als der selbstzweifelnden Noa das Stipendium entzogen wird, weil niemand den Sinn ihres „Lexikon der unübersetzbaren Wörter“ versteht, flieht sie aus Berlin zu ihrer Familie nach Israel, wo sie sich ebenso wenig heimisch fühlt. Dann reist ihr deutscher Freund Jörg nach und will Antworten von ihr.
Von Sir Real

Man kann gewiss vermuten, dass die Sinn- und Heimatsuche, bzw. Heimatlosigkeit der Protagonistin im Diplomfilm der Babelsberg-Absolventin Ester Amrami auch persönliche Befindlichkeiten und Zerrissenheiten der in Israel geborenen Berlinerin abhandelt. Gemeinsam mit ihrem Mann Momme Peters entwickelte sie ein Verlorensein zwischen den Kulturen mehr als nur ein „Lost in Translation“, manchmal aber auch weniger.

Das Schönste an dem Low-Budget-Werk sind die eingestreuten – echten – Kurzinterviews, in denen Menschen unterschiedlichster Nationalitäten (Cameo: Wladimir Kaminer) die unübersetzbaren Begriffe erklären, die alle auch Noas Gefühlslagen wiedergeben. Mit genüsslicher Konsequenz lässt Amrami die Studienbetreuerin ihre Arbeit ablehnen, weil niemand den wissenschaftlichen Sinn versteht – was Noa in die Krise stürzt.

Gewachsen und nicht gescriptet

Newcomerin Neta Riskin spielt sie sehenswert als sperrig-schwierige, unkommunikative Endzwanzigerin, doch so manches in dem sonst so wunderbar gewachsenen und nicht gescripteten Heimatbesuch ist nicht vollständig integriert, nicht zuletzt ihr Wörterbuch. Gemeinplätze wie das nebelgraue Berlin und das sonnig-lebendige Israel, sowie – natürlich – der steife deutsche Trottelfreund, der sich mal lockern müsste, stören stark.

Es zeichnet Amramis Talent aus, diese Plattitüden mit ihrem Sensorium für leicht Absurdes und Sonderbares zu überspielen, ungewöhnliche Formen und Muster, blumige Kleiderfarben und diverse Charaktere zu entdecken. Selbst der sprachlose Jörg ist dann doch humorvoller, als die Israelis zunächst annehmen. Dennoch steht das Spiel mit landestypischen Vorurteilen dem Film dabei im Weg, näher an die Figuren heranzutreten.

Sprachgewirr so unverständlich wie die Lage in Nahost

Im interessanten Stil wird das Sprachgewirr aus deutsch, englisch, hebräisch und jiddisch so unverständlich wie die politische Lage in Nahost, so kompliziert wie das belastete Verhältnis von Deutschen und Juden, präsent durch Noas sterbende Oma, die auf dem Weg aus dieser Welt ihre Heimatstadt Czernowitz wiedersieht, die sie 1938 verlassen musste. Das bewegt richtig, droht aber in dem Sorgenallerlei beinahe unterzugehen.

Denn die Geschichte einer Orientierungsbedürftigen, die nach langer Zeit heimkehrt und bei ihren Eltern nicht die ersehnte Nestwärme findet, weil alle mit sich selbst beschäftigt sind, versandet etwas im Wirrwarr. Und so originell ist die Identitätssuche nun auch wieder nicht, dass sie von allein trägt. Deshalb fragt Amrami auch nach Partnerschaft, Glück, Versagen, Leiden, Angst, nach nicht nur sprachlichen Verständigungsproblemen.

Berührt, als sei es das Selbstverständlichste der Welt

Aber sie übernimmt sich damit und über die Gesamtdistanz macht sich das Fehlen einer echten Dramaturgie bemerkbar. Sie verliert schon mal den Faden, findet nur noch sporadisch Besonderheiten, ihre Erzählung läuft langsam aus. So durchwachsen es zwischenzeitlich ist, wenn Mutter und Tochter sich endlich annähern, wenn sich alle zum Abschied in den Armen liegen, berührt es dafür, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.

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