1001 Gramm

Stillleben mit melancholischer Seele und Sinn für Schönheit: eine kühle Wissenschaftlerin füllt ihre Leerstellen im Gefühlsleben

1001 Gramm Cover

1001 Gram, aka 1001 Grams, Bent Hamer, N/D 2014
Kinostart: 18.12.2014, DVD/BD-Start: 19.06.2015
Story: Die in Scheidung lebende Marie arbeitet für das norwegische Eichamt und springt für ihren Vater ein, als dieser einen Herzinfarkt erleidet und im Krankenhaus liegt: Sie fliegt zu einer Wissenschaftskonferenz in Paris, um das Referenzkilogramm neu zu kalibrieren und verliebt sich in den charmanten Gärtner Pi.
Von Thorsten Krüger

Wiederholt hat der Norweger Bent Hamer versucht, per Vermessung die Welt zu verstehen. Diesmal reduziert er zwar die Skurrilität seiner größten Erfolge „Kitchen Stories“ und „O’ Horten“, nicht aber die undramatische Stille und, natürlich, skandinavische Lakonie, mit der er Ane Dahl Torp („Pioneer“) warmherzig zuschaut, wie diese Schwester im Geiste von „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ von ihren Gefühlen eingeholt wird.

Film und Figur sind unscheinbar und geduldig, die distanzierte Stoikerin im kalten Dekor ihres vom Ex nach und nach ausgeräumten Heim aber liebenswert dargestellt, versunken in ihrer Feierabend-Einsamkeit. Die Melancholie ihres Vaters, bei dem Erinnerungen wieder hochkommen, steckt die frisch Verlassene an. Hamer zeigt ihr kontrolliertes Wesen durch Formen und Muster, nur die zarte Musik verkündet ihre Verletzlichkeit.

Fragt nach dem Gewicht der Seele

Bei der Tagung im sommerlichen Paris stellt er die Sonderbarkeit einer Fachidioten-Polonaise aus, bringt der wissenschaftlichen Ordnung jedoch Ehrfurcht entgegen, wenn er den Kilo-Prototyp von 1889 wie ein Heiligtum zeigt. Aber wenn alles kaputt geht, braucht es einen Menschen, der zur Natur zurückgefunden hat, nicht nur um Gewichte, sondren auch Maries kühle Akkuratesse zu reparieren. Am Ende einer Ära beginnt eine neue.

Fraglos buchstabiert „1001 Gramm“ aus, als was er seine Parabel verstanden wissen will. Aber das macht nichts, es funktioniert dennoch: Man muss sein Leben in die Waagschale zu werfen, damit es im Gleichgewicht bleibt. Da der Schnitt alle Dramatik herausnimmt und nicht die Aktionen abbildet, sondern die Lücken, die sie hinterlassen, findet er leichter zur einer behutsamen Poesie, mit der er nach dem Gewicht der Seele fragt.

Man ist ein Stück glücklicher als zuvor

„Die größte Last im Leben ist, nichts zu tragen zu haben.“ Dazu reift ein bedächtiges Näherkommen ohne die üblichen Romantik-Routinen. Die Vögel singen eben anders, wenn sie sich der Stadt der Liebe nähern. Nichts Weltbewegendes, weniger überwältigend als „Mr. May …“, kein großes Kunstwerk wie „Eine Taube sitze auf einem Dach …“ – aber Hamer sieht die Schönheit und anschließend ist man ein Stück glücklicher als zuvor.

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