Alive Inside

Alive Inside Cover

Michael Rossato-Bennett, USA 2014
ohne deutschen Start

Michael Rossato-Bennetts ergreifende Doku über Dan Cohens Bemühungen, mit seiner gemeinnützigen Organisation Music & Memory alte Menschen aus ihrem Demenzschlummer zu reißen, ist ein humanistischer Herzbrecher. Man sieht ihn am besten zusammen mit „Still Alice“, direkt danach, weil er da anfängt, wo das Alzheimer-Drama mit Julianne Moore aufhört. Vor sich hin vegetierende Nursing-Home-Bewohner, trostlos in sich versunken, werden durch das Hören ihrer Lieblingsmusik plötzlich wieder lebendig und so vital wie die engagierte Regie.

„Alive Inside“ übt Kritik am US-Gesundheitssystem, das unpersönlich Altenpflege mit kalter Verwahrung statt menschlicher Wärme betreibt, psychische Grausamkeiten an denen begeht, die jahrelang im Psychopharmaka-Delirium ihrem Ende entgegendämmern, ein tägliches Verbrechen gegen Mitmenschlichkeit. Diese Ansicht scheint übertrieben (aber nicht allzu sehr und sie trifft auch auf hiesige Verhältnisse zu) und Rossato-Bennett liefert leider kein Zahlenmaterial, das die Effektivität von Cohens einfacher Alternativtherapie belegt.

Überwältigender Glücksflash

Aber da, wie Neurologe Oliver Sachs herausfand, die Kapazitäten für Liebe und Zuneigung am längsten in der Alzheimer-Einzelhaft erhalten bleiben, wird man mehrfach Zeuge kleiner Wunder, wenn apathisch Zusammengesackte weinend vom Dasein als lebende Tote auferstehen, ihre (eingespielten) Songs mitsingen oder -tanzen und Dinge fühlen, die sie jahrelang nicht fühlten. Dieser Glücksflash überwältigt auch den Zuseher, der überzeugt wird, dass Musik der wirksamste Teil davon ist, Betroffene zu stimulieren und stabil zu halten – neben der Zuwendung durch Angehörige.

Die Entmenschlichung des Lebensabends betrifft uns alle in einer alternden Gesellschaft, zunächst unsere Eltern, später uns selbst. In einer auf Leistung, Konsum und Ausbeutung spezialisierten Kultur, wo Alte nicht gebraucht und geschätzt werden, verblassen ihre Gefühle, Träume und ihr Ich in schmerzvoller Einsamkeit. Dies auf gesellschaftlicher Ebene zu reflektieren, verleiht „Alive Inside“ beträchtliche Dringlichkeit.

Im Windmühlenkampf gegen die Bürokratie hat Cohen gerade einmal 0,19% der Nursing Homes versorgen können. Rossato-Bennett tritt mit einem augenöffnenden Spendenaufruf für seine Sache ein, indem er uns zeigt, wie tief uns die Macht der Musik berührt. Kein Medikament kann solche Emotionen wecken. Wenn ich einmal im Altersheim verkümmere, wünsche ich mir jemand wie Cohen, der mir meine Würde wiederschenkt. Mit einem iPod.

Caroline Lin

Die Music & Memory-Stiftung mit Spendenmöglichkeit

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