ohne deutschen Start
Der für seine Rolle in Darren Aronofskys „Pi“ bekannte Bostoner Sean Gullette weitet seinen Kurzfilm „Traitors“ – erneut mit der exzellenten Chaimae Ben Acha in der Nachwuchspreisverdächtigen Hauptrolle – zum gleichnamigen Genrespiel in der nordmarokkanischen Hafenstadt Tanger aus. Statt für einen Musikfilm steht die rebellische Mentalität des Punk Pate für ein Sozialporträt und den Ausbruch unterdrückter Frauen.
Weitab eines schalen Reisevideos wie Caroline Links „Exit Marrakech“ entwickelt „Traitors“ einen authentischen, ungeschminkten Einblick in die Kultur des Maghreb, partiell ähnlich, wenn auch künstlerisch nicht so ausgeprägt, dem Kunstpoem „Atlas“ oder Jim Jarmuschs Psychedelic-Rock-Schwelgerei „Only Lovers Left Alive“. Der Punksoundtrack kommentiert prägnant Geschehen wie Stellung der Frau in dem muslimischen Land.
Malika ist 25, hat gerade den Job verloren und noch keinen Mann, weil niemand eine Frau in Jeans will. Sie sei eine Schande, nölt ihr herumbrüllender Vater, der ein echter Heuchler ist. Er verrät seine Familie, indem er die Räumungsklage verschweigt, wofür ihn seine Frau auch noch in Schutz nimmt. Männer haben das Sagen und lassen es Malika auch andauernd spüren, Anmache und sexuelle Übergriffe auf der Straße sind Alltag.
No Dirham: Höchste Zeit also, dass sich etwas ändert. Gullette konzentriert sich ganz auf Ben Achas Pokerface, die für ihre Mutter und Schwester sowie die einmalige Chance der Band, ein Demoalbum aufzunehmen, also aus dringenden Geldsorgen, den Weg der kriminellen Beschaffung wählt – denn alle anderen Möglichkeiten bleiben verschlossen. Wie gefährlich ihr Job tatsächlich ist, erfährt sie erst, als es kein Zurück mehr gibt.
„Traitors“ ist dennoch nicht so fatalistisch wie der mexikanische „Miss Bala“ um eine Frau in ähnlicher Lage. Und das, obwohl Malika nicht nur gegen ein Drogenkartell, sondern auch für Frauenrechte kämpft. Girlie-Action gibt es keine, dafür realistischen Suspense, seinen Kopf aus der tödlichen Schlinge zu ziehen: Mit Junkie-Mädel Amal fährt sie einen Drogen-SUV, eine Fahrt ins Verderben, bei der sie die Drecksarbeit tun müssen.
Ihre Bosse, Samir und Haj, haben noch niemand entkommen lassen, aber Malika verhilft der verzweifelten Schwangeren zur Flucht. „We are slaves for these assholes“, stellt der Thriller nüchtern fest, weiß aber, wie an Angst gewöhnte Frauen mit Bestechung und Schlauheit ihre Chance nutzen. „Wenn du ein Nagel bist, musst du den Hammer erdulden“: Ein Satz, der die Situation der Frauen in Marokko bitter-bewegend auf den Punkt bringt.
imdb ofdb