Der Posener Jan Komasa schiebt nach seiner Doku „Warsaw Uprising“ ebenfalls 2014 die faktentreue Fiktion „City 44“ über den Warschauer Aufstand im August 1944 nach (nicht zu verwechseln mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943). Sein selbst geschriebenes Kriegsdrama ist das Äquivalent einer Splittergranate, die direkt vor einem krepiert und deren Schockwelle einen körperlich wie emotional mächtig umwirft.
„City 44“ bestätigt, dass Kriegsfilme mit Jugendlichen nicht zum Teenie-Trash à la „Tomorrow, When the War Began“ verkommen müssen – sie können auch einer erschütternden Hochglanz-Ausgabe von „Komm und sieh“ im Actionstil eines „Der Soldat James Ryan“ gleichen. Ganz ähnlich Wojciech Smarzowskis verheerender (Nach)Kriegsgräuelerfahrung „Roza“ von 2011 folgt Komasa einer traumareichen Schock-Dramaturgie.
Nur geht er deutlich moderner zu Werke: mit einem überhöhten Jugend-Lebensgefühl, das jede Chance auf Ausgelassenheit nutzt, was er meist neutral, aber auch schon mal als hyperrealistischen Zeitlupen-Videoclip-Kuss zeigt. „City 44“ traut sich ästhetisch einiges zu, wenn er im Grunde eine Liebesgeschichte mit zwei expressiv stummen Heiligenfiguren erzählt, in den Wirren eines gnadenlosen Krieges, der eine Stadt zertrümmert.
Jesus weinte: Die beiden charismatischen Jungmimen Józef Pawlowski („Jack Strong“) als Stefan und Zofia Wichlacz („Once My Mother“) als Alicja (genannt: Marienkäfer) sind ein Liebespaar wie aus einer katholischen Heiligen-Elegie, die zu elektronischen E-Gitarren viele Tränen vergießen, die aber auch so groß sündigen wie jeder im Krieg, oder zumindest in Versuchung kommen, wenn sie nicht vergebliche heroische Taten vollbringen.
Denn Komasa setzt sein A-Budget nicht für stumpf-nationalistischen Bombast wie die ärgerliche russische Prestigeproduktion „Stalingrad“ ein – er übersetzt die Finanzen in cineastische Klasse. In nach Warschauer Stadtteilen benannten Episoden und Stationen wird die Dramaturgie von Angriffen, Kämpfen und Fluchten bestimmt, eine Hölle, durch die zwei bisweilen gar übersinnlich-dämonische Engel desorientiert taumeln.
Beide retten sich das Leben, verlieren sich aus den Augen und finden sich wieder, verstört von einem Overkill des Leids, der es in sich hat: Stefan sieht, wie seine Mutter und der geliebte kleine Bruder exekutiert werden, Ala erlebt einen Blutregen aus Körperteilen und entkommt einigen Massakern – „City 44“ macht keine Gefangenen oder blendet schonend aus. Die Horrorerfahrung ist ungefiltert und von wirkechter Eindringlichkeit.
Das ausdrucksstarke Duo, kurzfristig zum Liebesdreieck erweitert, überlebt irgendwie alles, wird Zeuge, wie in jeder freien Minute eine ungerüstete Armee von Jugendlichen die Zeit auslebt, die ihnen bleibt, bis das finstere Märchen in eine apokalyptische Nacht gipfelt, wo sie von einer Weichsel-Sandbank die Stadt brennen sehen, aus der die heutige Skyline wird – eine Blende so direkt und wuchtig wie diese übermenschliche Tragödie.
imdb ofdb
Warschau heute, 1 August 17:00 https://m.youtube.com/watch?v=ykBTvP6ZX9s
Dieser Film ist sicher nicht perfekt und wird nicht jeden gefallen, wenn Ihr aber etwas über uns Polen erfahren und uns besser verstehen wollt, solltet Ihr einen Blick riskieren.
FAKTEN: Bei den Kämpfen sind über 16000 Mitglieder der polnischen Heimatarmee gefallen.
Über 150000 Zivilisten, Frauen und Kinder wurden während und nach dem Aufstand von der SS ermordet. Die ukrainischen SS Einheiten (SS Galizien) waren für die schlimmsten Verbrechen verantwortlich.