Kinostart: 19.11.2015, DVD/BD-Start: 24.03.2016
Keine „(500) Days of Summer“, sondern etwa 160 Tage einer herbstlich anmutenden „doomed friendship“ – also Freundschaft, nicht Romanze -, sind das Thema eines Indie-Favoriten, der in einem kitschfreien Coming of Age wie ein Inhaltsverwandter von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (dem besten Teenfilm der letzten Jahre) und im Tonfall wie ein Bruder des schonungslos offenen „The Perks of Being a Wallflower“ auftritt.
Dem von Regiegrößen ausgebildeten Texaner Alfonso Gomez-Rejon ist nach seiner beachtlichen Slasher-Hommage „Warte, bis es dunkel wird“ eine Abkehr von seinem „American Horror Story“-Image gelungen. „Ich und Earl und das Mädchen“ – der deutsche Titel unterschlägt das „sterbende“ – geriet zur Sundance-Entdeckung, eine Dramödie, oder auch Tragikomödie, die unkonventionell Jugend, Krankheit, und (Weiter)leben umrankt.
Vor allem tut sie das bewegend. Ihrem etwas bemüht hippen Häkel-Look und dem eigentlich sehr artifiziellen Arrangement gewinnt sie viel an Wahrhaftigkeit und Lebensgefühl eines Kreativen ab, der sich zu niemandem bekennen will. Thomas Mann („Project X“) tritt auf als egozentrischer, selbstverachtender Bindungsscheuer („innovatively stupid“) und wird dennoch eine Identifikationsfigur, wofür einiges an Regiearbeit nötig ist.
Mit seinem Freund Earl (RJ Cyler) heckt er reihenweise skurrile Homemade-Movies aus; nicht nur damit kokettiert „Ich und Earl und das Mädchen“, nämlich einem Hauch Avant-Garde als legere Pose. Aber es hat enormen Charme und Witzigkeit, Titel wie „Eyes Wide Butt“, „A Sockwork Orange“ oder „Brew Vervet“ sind echte Schrulligkeiten für Cine-Buffs, so verspielt-künstlerisch wie „Abgedreht“, aber nicht so verkorkst wie Gondry.
Und dann gibt es ja noch Olivia Cooke, die nach dem Horror-Brettverschlag „Ouija“ demonstriert, dass sie doch schauspielern kann und zwar locker so gut wie Shailene Woodley in besagtem „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. Sie ist süß und sympathisch, alle Gefühle perlen aus ihr heraus, bis eine fiese Lüge emotionale Wirkungstreffer der herzzerreißenden Sorte erzielt. Taschentücher erforderlich – außer natürlich, Sie sind ein Stein.
Sehr viel passt: Die Musik von Ambient-Guru Brian Eno, Einfälle wie der Werner-Herzog-Monolog, kleine Regungen, Pretiosen wie der „regretful polar bear“. Alles, was man in einer Situation nicht macht, bedauert man eines Tages: Und anders als in „Margos Spuren“ entdeckt ein Junge nicht nur Relikte eines (Traum)Mädchens, sondern sie ermöglicht ihm auf traurig-schöne Weise auch eine Zukunft, die er sich selbst verbaut hätte.
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