Kinostart: 25.02.2016, DVD/BD-Start: 14.09.2016
Deniz Gamze Ergüvens empfindsamen Debüt wohnt ein Zauber inne, der an Sofia Coppolas „The Virgin Suicides“ anschließt und den unbändigen Freiheitsdrang fünf heranwachsender Mädchen beschreibt, die mit langen „Mustang“-Mähnen Lebenslust verströmen und zu sterben drohen, wenn man sie einsperrt. Das sanft Feingefühl, die großartige Atmosphäre und die fünf fabelhaften Nachwuchs-Mimen berühren das Herz.
Man merkt, dass die in Ankara geborene Ergüven in Frankreich aufgewachsen ist, für das der Film ins Rennen um den Auslandsoscar geht. Sie beherrscht diese spezielle Art der lichten und leichten Sommerbilder, die alle Leidensschwere eliminieren. Aus der Perspektive der jüngsten Schwester, Lale, beschreibt sie mit nachdenklich-aufmerksamen Blick, wie alle fünf Schwestern nach und nach in ihrem Heim eingemauert werden.
Denn hier regiert die verlogene Tugendhaftigkeit und eine nur für Frauen gültige Sexualmoral, ausgebrütet von der unheiligen Allianz von Islam und Tradition und gefördert von Erdoğans fortgeschrittener Reislamisierungspolitik. Mauern, Gitter und Verbote aus der Innenansicht sind die Folge, wobei die Handkamera in Halbnahen Bildausschnitte zeigt, wie ein Haus zum überwachten Gefängnis wird, das als Fabrik für Ehefrauen dient.
„Mustang“ ist nun keine Betroffenheitsanklage, sondern ein zartes, poetisches Werk, das als Coming of Age schildert, wie man vor solcher Engstirnigkeit fliehen kann. Es ist ein Drama, das unsagbar traurig in seinem Herzen ist und zugleich eine betörende Lebenslust versprüht – und einen Drang nach Freiheit und Widerstand, der Hoffnung verbreitet und mit einem gewissen Maß an Witz einen Kerker zur Festung umwandelt.
Sätze wie „wir waren zum letzten Mal alle zusammen“ sind von Melancholie geprägt, aber Instanbul als Fluchtpunkt bleibt eine Option. Ergüven bringt alle Geschehnisse mit einer reifen Bildsprache denn umständlichen Erklärungen zum Ausdruck (was ein deutscher Film getan hätte), verzichtet aber auf die unzugängliche Hermetik und unzumutbare Überlänge des türkischen Kunstkinos à la Nuri Bilge Ceylan („Winterschlaf“).
Die Geschichte dieser bildschönen, unzähmbaren Töchter, die lieber den Tod wählen, als traurige Bräute zu werden, berührt mit versteckter Tragik und einer Selbstbefreiung in höchster Not, die Mut macht. Aber es gibt auch so viele Frauen, deren Gefangenschaft niemals endet. Selbst in Unkenntnis der meisten anderen Kandidaten auf der Oscar Short List behaupte ich frei heraus, das „Mustang“ den Preis mehr als verdient hätte.
P.S.: „Mustang“ wurde heute auch offiziell für den Oscar nominiert.
imdb ofdb
Klingt toll, nach einem Must-See