Son of Saul

Arbeit in der Todesfabrik Auschwitz: László Nemes’ auslandsoscarnominierte Impressionen sind schonungslos und eindringlich

Son of Saul Cover

Saul fia, László Nemes, H 2015
Kinostart: 10.03.2016, DVD/BD-Start: 21.07.2016
Story: Saul Ausländer gehört einem Sonderkommando in Auschwitz an und muss die Vergasung von Juden vorbereiten, ihre Leichen ausplündern und ins Krematorium schleppen. Als ein überlebender Junge von einem Wachmann erschlagen wird, gibt ihn Saul als seinen Sohn aus und versucht ihn zu begraben.
Von Thorsten Krüger

In Claude Lanzmanns Langdokumentation „Shoah“ gibt es ein Interview mit dem polnischen Offizier Jan Karski, der sich in ein Vernichtungslager hatte einschleusen lassen, um der Welt von den Schrecknissen darin zu berichten. Sein Ekel, mit dem er die Verbrechen in dem Lager beschreibt, wird nur von seinem Ekel davor übertroffen, dass seine entsetzlichen Reporte praktisch niemanden interessierten oder gar zum Eingreifen bewegten.

Mit derselben Eindringlichkeit geht der Ungar László Nemes in seinem auslandsoscarnominierten Debüt zu Werke und wählt in „Son of Saul“ einen so einfachen wie raffinierten ästhetischen Ansatz, um das Grauen des KZ und der Vernichtung eines Volkes vor Augen zu führen. Im gleichen 4:3-Format wie „Shoah“ gedreht, bleibt die Kamera fast immer auf Gesicht oder Nacken seines Protagonisten. Alles andere verschwindet in Unschärfe.

Lässt keine Distanz zu dieser Hölle zu

Besser lässt sich Gefangenschaft, Einsamkeit, ständige Lebensgefahr und Abgestumpftheit kaum abbilden. Viele Grausamkeiten finden deshalb im Off statt. Dennoch ist „Son of Saul“ schonungslos. Die Akustik des Todes ist immer präsent. So wird die Arbeit in der Todesfabrik auf eine Art erfahrbar, die keine Distanz zu dieser Hölle zulässt. Deutsche Kommandos werden nur gebrüllt, die Dialoge der Häftlinge nur rasch geflüstert.

Das reglose Gesicht vom großartigen Géza Röhrig, dessen Saul wie ein abgemagerter Clive Owen aussieht, ist das radikale Zentrum, wenn er seinen Knochenjob im Krematorium erledigt. Die Gaskammerpanik und ein SS-Mann, der einen röchelnden Jungen erschlägt, der das Zyklon B überlebt hat – das alles ist schwer auszuhalten. Sein Tod erschüttert auch Saul, woraufhin er die Leiche, die seziert werden soll, für ein Begräbnis bergen will.

Selten so unvergesslich geschildert

Im dem zunehmend chaotischen Moloch sucht er dafür einen Rabbi, um dem Jungen, der nicht sein Sohn, sondern die Verkörperung seiner Schuldgefühle ist, ein Kaddisch zu ermöglichen – eine so fixe wie unmögliche Idee, für die er alles riskiert, andere Häftlinge in Gefahr und gegen sich aufbringt. Denn während jene Waffen für einen geplanten Aufstand schmuggeln, sucht er rücksichtslos nach einem jüdischen Geistlichen.

„Du hast die Lebenden für die Toten verraten“, werfen ihm seine Mitgefangenen vor, mit denen er ausbricht und für einen kurzen Moment die Freiheit erlangt. Die Atmosphäre von Gewalt und Verrohung dieser Gehetzten in „Son of Saul“ setzt ein felsenfestes Gemüt voraus, aber die Impressionen aus einem Vernichtungssystem, wo in Nachtschichten Leichen im Akkord verbrannt werden, sind selten so unvergesslich geschildert worden.

Eine Alternative für alle, die eigentlich nichts mehr zum Holocaust sehen können, weil sie vor deutscher Mahnmal-Pädagogik flüchten, die ihnen andauernd aufzwingt, wann und wo sie betroffen zu sein haben.

imdb ofdb

2 Gedanken zu „Son of Saul“

  1. Also ich habe den Film auch gesehen und zwar auf italienisch. Allerdings kam er mir dreisprachig vor, weil ein großer Teil nur auf Deutsch gebrüllt wurde.
    Ästhetisch finde ich den Film auch sehr eindrucksvoll und die Abteilung der Frauen hat mich sehr traurig zurück gelassen. Die Verrohung der Menschen, sieht man dort in einer Art und Weise, dass sie die Vorstellungskraft zum Glück nicht sprengt. Die Szenen in der Gaskammer sind schon echt heftig, allerdings sind sie nicht so gut sichtbar wegen der Art wie gefilmt wurde.
    Ich glaube, dass die Art zu Filmen, vielleicht zu ästhetisch war und man so andere Momente verpasst hat, aber sie war dennoch sehr gut und hat seine Einsamkeit gut wiederspiegelt.
    LG

  2. Pingback: Montag, den 15. Februar 2016 | Kulturnews

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