Kinostart: 04.08.2016, DVD/BD-Start: 05.12.2016
Der iberische Regiemeister Pedro Almodóvar kehrt auf das Terrain von „Sprich mit ihr“ und „Volver“ zurück und adaptiert für „Julieta“ drei Kurzgeschichten der kanadischen Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro. Das muss man toll finden. In Ehrfurcht erstarren. Den Regisseur für die Goldene Palme nominieren. Bloß nicht! Hier gibt es nur Gemächliches für ältere Herrschaften wie die Cannes-Jury. Ohne einen Funken Leben.
Dabei kommen Kenner auf ihre Kosten: Unverkennbar die starken, dennoch sanften Farben. Mysteriöse, undurchsichtige Gefühle, geheimnisvolle Vergangenheiten, verwoben mit einem Hauch Melodramatik, unterfüttert mit einem Touch Patricia Highsmith, versunken in die formschöne Bildsprache des klassischen Hollywoodkinos. Frauen als bunte Paradiesvögel, eine Rückblendenreise durch 30 Jahre Familien-Dysfunktionalität.
Doch trotz ausgestellter Sinnlichkeit ist „Julieta“ fade und hakt einen Beischlaf nach dem anderen ab. Almodóvar ist unendlich desinteressiert an Figuren, Story und Leben, dafür vornehmlich an Mode und Frisuren. Er schmückt sich mit bildender Kunst, bemüht zuhauf griechische Mythen und klassische Literatur, um damit eine Konsens-Kultiviertheit für Bildungsbürger herzustellen. Daran ist zunächst einmal nichts auszusetzen.
Nur den Figuren kommt er nicht näher. Auch bei heftig schnaufenden Leidenschaften funkt nichts über die Leinwand; es sind Gefühle, die man nicht teilt. Irgendwie bleibt einem das gesamte Personal fremd. Die Frage ist: wieso? Weil „Julieta“ nicht über geschmackvoll gefilmte Ansammlungen von Standards hinauskommt, weil er nachgerade an seinen kunstbeflissenen Konventionen erstickt, weil er flüchtig nie zu etwas näher vordringt.
Dieses Kursorische verstärkt, dass „Julieta“ etwas künstlich, reduziert, bühnenhaft (im besten Fall: traumgleich) wirkt. Und vor allem: konstruiert. Normale Gespräche? Unmöglich. Die stinklangweiligen Dialoghülsen bremsen gemeinsam mit erstaunlichen Belanglosigkeiten jeden Anflug von Schwung aus, den der soigniert-spröde, langsame Rhythmus ohnehin selten zulässt. Dazu suggerieren Streicher die Bedeutsamkeit dieser Anti-Dramatik.
Die zugleich dramaturgisch überladen ist. Almodóvar zitiert sich bestenfalls selbst, in einer pomadigen Oberflächlichkeit, die reich an filmischen Floskeln und arm an Zugang zu den – im Übrigen wunderbaren – Darstellern ist. Vermutlich ficht die einschläfernde Gediegenheit seine Anhänger nicht an, aber es packt einen nichts an dieser leise tröpfelnden Geschichte eines definitiv stark überbewerteten Autorenfilmers.
imdb ofdb
„Fliegende Liebende“ gilt ja auch unter (Almodóvar stets wohlgesonnenen) Kritikern als untypisch, wenn nicht als Ausfall. Hier hingegen waren die Reaktionen in Cannes eher: positiv, wenn auch kein Meisterwerk. Alte Herren eben 😉
Mich beschlich bereits seit “Fliegende Liebende” die Befürchtung, dass Almodovar eine – sagen wir mal Formkrise hat. Das scheint sich fortzusetzen.
Gracias für die Besprechung.
Celia