Kinostart: 02.02.2017
Der profilierte Taiwaner Ang Lee gilt seit Jahrzehnten als einer von Hollywoods besten Autorenfilmern, seine jüngsten Oscarerfolge reichen vom Schwulendrama „Brokeback Mountain“ bis zur Fantasy „Life of Pi“. Ein Mann von solchem intellektuellen Format und gestalterischer Bandbreite ist der ideale Kandidat, um Amerikas aus der Unsicherheit geborenem Verlangen nach Helden in einer bewegenden Satire den Spiegel vorzuhalten.
Dass er dafür nicht nur 3D, sondern auch 4K-Auflösung samt Framerate von 120 Bildern pro Sekunde wählt, bedeutet für uns alle: Wir schauen „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ wie einen Blu-Ray-Trailer auf einer VHS-Kopie in einem Röhrenfernseher. Denn Kinos, die diese technische Spezifikationen abspielen können, gibt es global nur eine Handvoll. Also nicht das Kino ihres Vertrauens. Die gute Nachricht: Das macht gar nichts.
Denn hier überzeugt nicht die Technik, sondern das Handwerk und das Menschliche, mithin die Schauspieler. Debütant Joe Alwyn geht als Billy unter die Haut, mehr aber noch Kristen „Twilight“ Stewart, die als brandvernarbte ältere Schwester abermals eine richtig berührende Leistung vollbringt, die an „Die Wolken von Sils Maria“ anknüpft. Als sensible Pazifistin im hirnamputierten Elternhaus versucht sie ihren Bruder zu retten.
Der Gag nun aber: Billy will gar nicht gerettet werden. Er fühlt sich nämlich wohl als Soldat. Und Ang Lee stellt, anders als man bei einer Satire diesen Ranges vermuten könnte, Krieg und Armee keineswegs infrage. Vielmehr gelingt ihm eine gefühlsechte wie ehrliche Liebeserklärung an den einfachen Soldaten. „We have nothing but ourselves“, sagt sein Platoon. Vielleicht ist das einer der besten, weil subtilsten Werbefilme für die Army.
Mit Amerika und seinen geistlosen Einwohnern geht „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ um so härter ins Gericht. Für denkende Menschen ist das wie eine Erlösung von der recht unreflektierten, patriotisch gefärbten derzeitigen Heldenfilmwelle, repräsentiert durch „Boston“, „Sully“, „Deepwater Horizon“ und „Hacksaw Ridge“. Billy zumindest wird für den schlechtesten Tag seines Lebens mit Auszeichnungen überhäuft.
Die Handlung setzt bei der Halbzeit seines Irak-Einsatzes ein, und auch bei der Halbzeit der Promotour, die so voller gigantomanischer Dekadenz und schwachsinniger Typen ist, dass die Einheit sich lieber von Aufständischen beschießen lassen würde, als weiterhin wie Idioten herumgereicht zu werden. Billys Storyrechte sollen von Albert (Chris Tucker) an einen Investor (Steve Martin) verkauft werden – es wird ein unwürdiges Gezerre.
Wie man darin seinen Stolz bewahrt, sich mit der Schwester versöhnt und als jemand nahe geht, der bereits getötet hat (einen Angreifer blutet Billy in einer Gänsehaut-Szene mit dem Messer aus), aber noch Jungfrau ist (was eine Cheerleaderin ändert), vermittelt Lee gekonnt, indem er langsam aber sicher zeigt, wie die Bilder lügen. Wie sich hinter dem Schein das Sein herausschält, um dann damit zu einem Ganzen zu verschmelzen: meisterhaft.
In Rückblenden erzählt er vom drögen Dienst im Wüstenstaat, wie ein Kindskopf zum geborenen Berufssoldaten reift und seine heftig realistisch inszenierte Gefechts-Feuertaufe Vin „Fast & Furious“ Diesel einen emotional starken Abgang beschert. Frappierend ebenfalls: Die Perspektive der Jugendlichen. „Life sucks, you might as well join, what else is there?“ Was für ein Armutszeugnis für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
imdb ofdb