20th Century Women

As Time Goes By: großartiges Generationen-Porträt dreier Frauen (und zweier Männer), traurig, erheiternd, aufgeschlossen und bewegend

20th Century Women Cover

Mike Mills, USA 2016
Kinostart: 18.05.2017
Story: Santa Barbara, 1979. Die 55-jährige Dorothea zieht ihren 15-jährigen Sohn Jamie groß. Ihr Haus steht offen für Fotografin Abbie, die sich von einer Krebserkrankung erholt, Hippie-Faktotum William sowie Jamies promiskuitive Kindheitsfreundin Julie, die eine rein platonische Beziehung zu ihm unterhält.
Von Thorsten Krüger

Liebe. Sexualität. Freiheit (in Form von Liberalität). Das sind die hellsten Schlaglichter im umfassenden Themenspektrum eines biografischen Lebensporträts, das großartig erzählt ist: „20th Century Women“, der dritte, wieder selbst verfasste Spielfilm von Mike Mills („Thumbsucker“, „Beginners“), ist ein feines Meisterwerk neben ausgetretenen Pfaden, mit toller Leistung nicht nur von Annette Bening („American Beauty“).

Feminismus spielt zwar eine vorgeblich zentrale Rolle, aber Selbstbestimmung, Selbstfindung und miteinander Leben bezieht sich auf drei Frauen ebenso wie auf zwei Männer. Damit geht „20th Century Women“ wie ein Entwicklungsroman vor, der ohne Plotpoints auskommt, eine abseits der Stereotypen stehende Tragikomödie ohne Feelgood-Ausbrüche. Man hat immer das Gefühl, Menschen und nicht Charakteren gegenüber zu sein.

Vielschichtig, bestrickend, empfindsam

Vieles ähnelt, auch qualitativ, „The Kids Are All Right“, eine weitere gute Wahl von Annette Bening, die hier ihre Falten nicht versteckt. Nur zielt Mills nicht so plakativ auf die Patchworkfamilie ab. Er schafft beinahe ein Komplementär zu „The Hours“, nicht so ostentativ melodramatisch und kunstvoll, sondern unprätentiöser, mit Indie-Spirit und leichtem Art-Touch. Die anregend-betörende Musikauswahl hat etwas von „Almost Famous“.

Mal hautnah, mal mit komischer Distanz bringt Mills ganz feinfühlig ein wirklich großartiges Script auf die Leinwand: vielschichtig, bestrickend, empfindsam für alle Nuancen, nicht der Popkultur, sondern den Nischen verpflichtet. Die Figuren verhalten sich eigenwillig und überraschend, nie mit üblicher Drehbuch-Berechenbarkeit. Sie geben so viel (Lebens)Weises von sich, so viel Erhellendes – und das ganz ohne Megaphon.

Verändert, wie man denkt und fühlt

Den drei Frauen – neben Bening die ebenbürtige Elle Fanning („The Neon Demon“) und die stets wunderbare Indie-Ikone Greta Gerwig („Frances Ha“) – stehen die Männer (Billy Crudup, „Almost Famous“) und Nachwuchskraft Lucas Jade Zumann („Sinister 2“) gleichwertig gegenüber. „20th Century Women“ nimmt sich, selbst im Humor, seiner Figuren an, er macht aufgeschlossen: Was geschieht, verändert wie man denkt und fühlt.

In behutsamer Kombination ist das erheiternd, traurig, anrührend, ohne es je an die große Glocke zu hängen. Das untoupierte Leben im Fluss der Zeit entfaltet so eine wirklich wunderbare Wirkung. Gleichwohl kam nur eine karge Oscarnominierung für das Drehbuch heraus. Wenn Hollywood tatsächlich so liberal und progressiv ist, wie es immer angibt, sollte „20th Century Women“ einen Statuensegen erhalten und nicht „Bla-Bla-Land“.

imdb ofdb

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