Kinostart: 27.07.2017
„Paradies“ könnte glatt die inoffizielle Adaption von Jonathan Littells erschütterndem Holocaust-Roman „Die Wohlgesinnten“ sein. Der von Unterhaltung („Runaway Train“) ins seröse Fach migrierte russische Regieveteran Andrei Konchalovsky („Das Irrenhaus“) erhielt für die Annäherung an seinen Arthaus-Bruder Nikita Michalkow („Die Sonne, die uns täuscht“) und Alexander Sokurow („Moloch“) in Venedig den Regiepreis.
An Letzteren, ein Kammerspiel an Hitlers Berghof, lassen die formstrengen, halbdokumentarischen Bildkompositionen in Schwarzweiß und im 4:3-Format denken, ebenso an das Holocaust-Lagerdrama „Son of Saul“. So nüchtern und distanziert die drei miteinander verwobenen Biografien, deren Schicksale ab 1942 unmittelbar mit der Judenvernichtung verknüpft sind, zunächst auftreten, so viel Poesie und Kunst wohnt ihnen inne.
Kein „Paradies“ ohne Hölle: Das Triptychon, das seine Figuren mit immer wieder zwischenmontierten Interview-Szenen einführt, die sich dann doch als metaphysischer Kunstgriff erweisen, spielt mit der Doku-Ästhetik und schmuggelt in seine Meditation über den schonungslos offenen und ehrlichen Versuch, Denken und Handeln nachvollziehbar zu gestalten, allerhand künstlerische Stilmittel, ohne damit seine Wucht zu mindern.
Der Kollaborateur scheidet früh durch eine Kugel des Widerstands aus und Konchalovsky konzentriert sich auf die interessante Figur des jungen, stolzen SS-Offizier aus altem Adelsgeschlecht. Ein musisch gebildeter Herrenmensch, der über Tschechow promoviert. Von Himmler persönlich instruiert (wegen Overactings eine echte Camp-Szene), soll er die grassierende Korruption in den osteuropäischen Vernichtungslagern ausmerzen.
Dort trifft er seine Jugendliebe Olga wieder (die Toskana-Rückblenden ähneln frappierend dem homoerotischen „Tod in Venedig“), aus deren Perspektive „Paradies“ den Lageralltag beschreibt. Mag die meiste Grausamkeit nur verbal in Nebensätzen existieren, es ist emotional harte Kost wie László Nemes‘ oscarnominiertes KZ-Drama. Immer wieder erwirkt Konchalovsky damit ein Kammerspiel, das einem keine Ausflucht lässt.
Und wenn doch, dann sind die Anwandlungen zu Geistergeschichte (Helmut wird von den Ermordeten heimgesucht), Totentanz („Moloch“ und „Der Untergang“ grüßen hier) und der Einfluss von Karen Shakhnazarovs Kuriosität „White Tiger“ und seinem finalen Hitler-Monolog geradezu schauerlich. Lediglich die abschließenden Moral-Urteile sind unnötig – die Monstrosität des Erzählten spricht mehr als ausreichend für sich.
imdb ofdb