Der Hauptmann

Robert Schwendtkes zeitlose Parabel auf das Führerprinzip erzielt als beklemmende Kriegsgroteske schwarzweiße Schauerlichkeit

Der Hauptmann Cover

Robert Schwentke, D/PL/P/F 2017
Kinostart: 15.03.2018
Story: Nordwestdeutschland kurz vor Kriegsende im April 1945: Der fahnenflüchtige Gefreite Willi Herold findet die Uniform eines Hauptmanns und gibt sich für ihn aus. So versammelt er versprengte Soldaten und muss seine Rolle weiterspielen – er jagt erst Marodeure, dann exekutiert er in einem Lager Gefangene.
Von Jochen Plinganz

Kleider machen Leute: Der in Hollywood tätige Schwendtke („Die Frau des Zeitreisenden“, „R.I.P.D.“) hat auf Heimaturlaub die Story des blutjungen Kriegsverbrechers Willi Herold ausgegraben, der nur Wochen vor der Kapitulation zum fanatischen Nazi und Massenmörder wurde. Analog zum ebenso auf einem realen Vorkommnis fußenden „Der Hauptmann von Köpenick“ entspinnt sich die bittere und böse Version einer Köpenickiade.

Das Lachen jedenfalls bleibt einem im Halse stecken, wenn Schwendtke in beklemmenden Schwarzweißbildern der Blutspur folgt, die „der Henker vom Emsland“ in wenigen Wochen hinterließ. Ausgangspunkt von „Der Hauptmann“ ist ein junger Deserteur, der durch ein kriegsverheertes Land im Spätwinter irrt. Der Schweizer Max Hubacher („Der Verdingbub“) verkörpert ihn erschütternd eindringlich, in Lumpen gehüllt und hungernd.

Spielt seine Rolle gut. Zu gut

Und findet besagte Uniform. Die ist ihm zwar zu lang, aber die versprengten Fahnenflüchtigen, die sich ihm nach und nach anschließen, übersehen das mehr oder minder absichtlich. Herold muss den Offizier geben, um zu überleben. Seine Täuschung droht ständig aufzufliegen, weshalb er seine Rolle gut spielt. Zu gut: Er bringt jeden auf Linie, sorgt für Ordnung im Chaos, schützt Bauern vor marodierenden Soldaten, exekutiert Plünderer.

Er etabliert ein Gewaltsystem, das sich verselbständigt. Seine Flucht nach vorne bringt ihn ins Lager II der Emslandlager, wo er „auf Befehl von ganz oben“ ein Massaker an Deserteuren anrichtet. Härte und Unmenschlichkeit entwickeln hier eine Eigendynamik wie aus dem Stanford-Prison-Experiment. Am übelsten verstört Frederick Lau („Victoria“) als entfesselter Sadist, nur Milan Peschel („Winnetou“) ringt mit seinem Gewissen.

Entlarvt Machtmechanismen

In ungemütlicher Nüchternheit gelingt „Der Hauptmann“ ein groteskes Kriegsdrama und eine Parabel auf das Führerprinzip, wenn ein verkleideter Niemand einen Führerstaat im Führerstaat etabliert und mit abgebrühter Kaltschnäuzigkeit Exzesse abliefert, die aus Pasolinis legendärem „Die 120 Tage von Sodom“ stammen könnten. Ein paar düstere Synthie-Effekte verstärken gekonnt diese Atmosphäre grausamer Entmenschlichung.

Trotz auswegloser (Gesamt)Situation entwickelt sich dieser Schelm zum wahnsinnigen Fanatiker. Da wandelt sich die Simplicissimus-Geschichte zum brutalen (Psycho)Spiel, das jeden zum Mittäter macht und die Machtmechanismen und Prinzipien (jedes autoritären Regimes) entlarvt, etwa vorauseilenden Gehorsam schonungslos offenlegt. Die Aussagekraft des Geschehens ist zeitlos, wenn Herold seinen Weg ohne jede Gnade geht.

Nur den Epilog hätte sich Schwendtke besser geschenkt – ansonsten liefert er ein meisterliches Schauerstück ab.

imdb ofdb

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