Shoplifters

Wahlverwandtschaften: Der diesjährige Cannes-Gewinner zeigt mit seiner anrührenden Utopie Alternativen zur sozialen Kälte (Japans) auf

Shoplifters Cover

Manbiki kazoku, Hirokazu Koreeda, J 2018
Kinostart: 27.12.2018
Story: Gelegenheitsarbeiter Osamu bringt seine Angehörigen mit Ladendiebstählen durch, bei denen sein junger Sohn Shota mithilft. Als sie in einer kalten Winternacht die kleine Suri auflesen, nehmen sie das misshandelte Mädchen in ihre 5-köpfige Familie auf, die als bunter Trupp Lebenskünstler zusammenhält.
Von Sir Real

Cannes-Regular und verdienter Gewinner der Goldenen Palme 2018, Hirokazu Koreeda („Unsere kleine Schwester“), legt mit „Shoplifters“ eine fabelhafte Erzählung vor, deren subtiler Humanismus zu Tränen rührt – nicht nur, weil er der Versuchung widersteht, auf die Tränendrüse zu drücken. Sondern auch, weil er die Utopie eines ehrlichen, menschlichen Miteinanders von Wahlverwandtschaften vermittelt – in einem sozial kalten Land.

Ausgerechnet bunt zusammengewürfelte, nicht verwandte Diebe, Kleingauner und Randexistenzen bilden eine Mehrgenerationenfamilie, die das soziale Gewissen aufweist, das dem Rest Japans fehlt. Sie besetzen eine kleine Nische in der anonymen Großstadt und füttern Findelkind Yuri durch. In dem fröhlichen, charmanten Miteinander enthüllt Koreeda ganz beiläufig und nur nach und nach Yuris grauenvolle Vergangenheit.

Schwer misshandeltes Mädchen

Das schweigsame, liebenswerte Mädchen wurde schwer misshandelt und bleibt nur zu gerne bei der freundlichen Clique, die nur vordergründig von finanziellen Interessen zusammengehalten wird. Monatelang melden sie ihre echten Eltern nicht mal als vermisst – als sie es dann doch tun, weiß man, wie akut bedroht das Idyll ist, zumal jeder Ladendiebstahl schief gehen kann. Der Lebensentwurf, den sie wählen, kann keinen Bestand haben.

„Shoplifters“ funktioniert, indem Koreeda wie zufällig die Kamera positioniert und dann Szenen laufen lässt, quasi ohne ins Geschehen einzugreifen, was sich auch in der sehr zurückhaltenden musikalischer Begleitung äußert. Mit einer feinen humanistischen Geschichte spannt er den Bogen tief hinein in eine Gesellschaft, in der Arbeit und Familie längst von einer von ihm unaufdringlich registrierten Unbehaustheit durchdrungen sind.

Was verbindet uns?

„Was verbindet uns?“ „Geld. Ist doch normal“ „Wir sind nicht normal.“ Es ist absehbar, dass die Bande Ausgestoßener bei selbstgerechten Pharisäern verpönt ist und von der Gemeinschaft nicht verstanden werden kann. Diese sieht nur die Kriminellen in ihnen, aber nicht die Alternative zu ihrem erodierten Modell des Zusammenlebens – mit sehr nahegehendem Ausklang. „Shoplifters“ ist damit klar ein Anwärter für den Film des Jahres.

imdb ofdb

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.