Der Posener Jan Komasa schiebt nach seiner Doku „Warsaw Uprising“ ebenfalls 2014 die faktentreue Fiktion „City 44“ über den Warschauer Aufstand im August 1944 nach (nicht zu verwechseln mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943). Sein selbst geschriebenes Kriegsdrama ist das Äquivalent einer Splittergranate, die direkt vor einem krepiert und deren Schockwelle einen körperlich wie emotional mächtig umwirft.
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The Internet’s Own Boy: The Story of Aaron Swartz
ohne deutschen Start
Unter dem Titel „Tod eines Internet-Aktivisten“ lief Brian Knappenbergers berührende Crowdfunding-Doku über Leben und Wirken des Programmierers und Netz-Aktivisten Aaron Swartz (1986-2013) bereits Anfang Januar praktisch unerkannt auf ZDFinfo. Immerhin kam der Sundance-Beitrag „The Internet’s Own Boy: The Story of Aaron Swartz“ auf die Oscar-Shortlist in der Dokumentarabteilung und erzählt die kurze Biografie eines unter Depressionen leidenden, wiewohl fröhlichen Computergenies, das seine technologischen Kenntnisse zum Zwecke der Weltverbesserung einsetzen wollte, an dem die US-Staatsanwaltschaft aber dann mit grotesken Strafaussichten ihr Mütchen kühlte, worauf dieser Selbstmord beging.
Wir sind jung. Wir sind stark.
Kinostart: 22.01.2015
So ausdrucksstarke Charaktere haben im deutschen Film Seltenheitswert – gleiches gilt für den souveränen bis bravourösen Stil, mit dem Burhan Qurbani, Sohn afghanischer Einwanderer, nach „Shahada“ seine Könnerschaft eindrucksvoll bestätigt. Er liefert keine Anklage mit einfachen Antworten und klarer Schuldzuweisung, sondern ein eindringliches Gesellschaftsbild, keine monokausale, sondern eine mutlifaktorielle Chronik.
Das Glück an meiner Seite
Kinostart: 16.04.2015, DVD/BD-Start: 27.08.2015
Allen Auftritten von Hilary Swank ist ihr Engagement gemein. Ihre Rollenwahl folgt augenfällig der Message, als emanzipatorisches Vorbild für humanistisch-weibliche Werte einzutreten – ihre beharrliche Frauenpower verleiht jeder Performance von „Million Dollar Baby“ bis zuletzt „The Homesman“ eine anrührende Kraft. Ebenso im zur Ice Bucket Challenge passenden Film von George C. Wolfe („Das Lächeln der Sterne“).
Squatters
DVD/BD-Start: 27.05.2014
Dem nach „The Hills Have Eyes 2“ zweiten US-Werk des Deutschen Martin Weisz („Rohtenburg“) wurde Eindimensionalität, Weltfremdheit und Klischeelastigkeit vorgeworfen. Zeit für eine Ehrenrettung von „Squatters“, einem stimmungsvollen, oft zärtlich inszenierten „Aschenputtel“ als White-Trash-Märchen um Sozialgefälle und Familientragödien, was als Teenie-„True Romance“ zum traumhaft besetzten Melo-Thriller wird.
The Interview
Kinostart: 05.02.2015, DVD/BD-Start: 05.06.2015
Den Sony-Hackern, die mit ihren Aktionen die Veröffentlichung dieser notorischen Zwerchfellstrapaze verhindern wollten, fehlt offenbar der Sinn für Borderline-Humor, den das Gespann Seth Rogen und Evan Goldberg („Das ist das Ende“) von der Leine lässt. Die besten Komödien sind jene, die Grenzen überschreiten und die exzessiv kindische Comedy, deftig politische Satire und verrückte Spionage-Posse sprengt sie nachgerade alle.
The Skeleton Twins
DVD/BD-Start: 30.04.2015
Das in Sundance mit dem Drehbuchpreis gekrönte, zweite Regiewerk von Craig Johnson steht wie sein Einstand „True Adolescents“ zwischen Drama und Komödie, geht aber deutlich sensibler und mit aufrichtigem Interesse für seine beiden traurigen Figuren vor, von den „Saturday Night Life“-Alumnen Kristen Wiig und Bill Hader (beide als Sprecher in „Her“) mit Sinn für trotzigen Humor und leise Tragik verletzlich vorgetragen.
The Frame
ohne deutschen Start
Schon länger träumt der Indie-Regisseur Jamin Winans nur von ihrem Budget begrenzte, talentierte städtische Mystery-Fantasien mit SciFi-Touch („11:59“ und vor allem „Ink“). Ambitionierter denn je arrangiert er eine schlaue und trotz kleinem Budget auch effekttechnisch suberbe doppelte „Truman Show“, in der sich zwei einsame Seelenverwandte gegenseitig vor der „Final Destination“, ihrem geplanten Tod, zu retten versuchen.
Anderswo
Kinostart: 29.01.2015
Man kann gewiss vermuten, dass die Sinn- und Heimatsuche, bzw. Heimatlosigkeit der Protagonistin im Diplomfilm der Babelsberg-Absolventin Ester Amrami auch persönliche Befindlichkeiten und Zerrissenheiten der in Israel geborenen Berlinerin abhandelt. Gemeinsam mit ihrem Mann Momme Peters entwickelte sie ein Verlorensein zwischen den Kulturen mehr als nur ein „Lost in Translation“, manchmal aber auch weniger.
Das Verschwinden der Eleanor Rigby
Kinostart: 27.11.2014, DVD/BD-Start: 07.05.2015
Ned Benson ist Amerikaner und er hat sein aus zwei Perspektiven erzähltes Diptychon „The Disappearance of Eleanor Rigby: Her“ und „Him“ zu einem Drama montiert, das beiden folgt, mehr ihr, als ihm. Der unkonventionelle Indie-Ansatz ist dagegen europäisch, angenehm unaufgeregt mit der Handkamera eingefangen. Der 37-Jährige Autorenfilmer vereint damit die Vorzüge der Nouvelle Vague mit der Kunst hochklassiger US-Dialoge.
Dritte Person
Kinostart: 04.12.2014, DVD/BD-Start: 09.04.2015
Der zweifache Oscargewinner Paul Haggis, ausgezeichnet für „L.A. Crash“ und sein Drehbuch für „Million Dollar Baby“, webt wieder ein Episoden-Ensemble-Drama mit gleich sieben ausgewiesenen Charakterstars. Der am Bond-Relaunch durch seine Scripts zu „Casino Royale“ und „Ein Quantum Trost“ nicht unerheblich mitbeteiligte Kanadier ventiliert diesmal freilich nur viel heiße Luft, die er mit Emo-Pathos schwängert. Seine drei Storys haben nicht bloß durch schwachen Figuren, dröge Dialoge und fehlende Durchschlagskraft den Appeal von Schleuderware.
Ruf der Pferde
DVD/BD-Start: 19.01.2015
Kleinmädchenkitsch auf K&S? Keineswegs! Für den deutschen Schmalztitel „Ruf der Pferde – Ein Mädchen folgt seinem Herzen“ können wir ja nichts. Das Original klingt mit „The Horses of McBride“ schon seriöser. So ist auch Anne Wheelers TV-Verfilmung geworden, der es gelingt, die realen Ereignisse von 2008 in McBride (fast) kitschfrei zu einem herzbewegenden Durchhalte-Mutmacher zum Weihnachtsfest auszuschmücken.
Citizenfour
Kinostart: 06.11.2014, DVD/BD-Start: 08.05.2015
Citizenfour. So lautet der Tarnname, unter dem Whistleblower Edward Snowden die in Berlin lebende Dokumentarfilmerin Laura Poitras kontaktierte. Sie schließt mit der Chronik seines Treffens mit den Guardian-Journalisten Glenn Greenwald und Ewan MacAskill in einem Hongkonger Hotel ihre Trilogie über Amerika nach dem 11. September („My Country, My Country“, „The Oath“) ab und legt die ungeheuerlichen Straftaten der Obama-Regierung offen.
Wild Tales
Kinostart: 08.01.2015, DVD/BD-Start: 25.06.2015
In der von Pedro Almodóvar produzierten argentinische Anthologie unterbreitet der aus der Provinz Buenos Aires stammende Damián Szifrón („Tiempo de valientes“) sechs Segmente, die als finstere Komödie das Groteskgeschehen illustrieren, das sich ergibt, wenn mehr oder minder normale Menschen ihre Wut ungezügelt ausleben. Die nicht miteinander verwobenen Episoden sind als eigenständige Kurzfilme aufgereiht, die studieren, wie Zorn und Rachegelüste in eine charakteristische Eskalationsdramaturgie ausufern, die Moral und Gesetz sprengt.
Die Wolken von Sils Maria
Kinostart: 18.12.2014, DVD/BD-Start: 13.08.2015
Der wandelbare Olivier Assayas („Die wilde Zeit“) erforscht facettenreich, behände und fast schwerelos Gemüts- und Seelenzustände einer Diva. Sein transparenter Blick hinter die Kulissen ergibt ein ungeschminkt echtes Bild auf Celebrities, Theater- und Filmgeschäft – keine dieser Showbiz-Satiren wie „Maps to the Stars“, sondern erwachsen-hintersinniges Kino nahe Bergmans „Persona“ und Kiarostamis „Die Liebesfälscher“.
Ruhet in Frieden – A Walk Among the Tombstones
Kinostart: 13.11.2014, DVD/BD-Start: 11.03.2015
Von Lawrence Blocks bisher 17 veröffentlichten Romanen um Hells-Kitchen-Detektiv Matthew Scudder („8 Millionen Wege zu sterben“ fand 1986 seinen Weg ins Kino) hat Scott Frank, Drehbuchautor von „Minority Report“ und „Out of Sight“, das zehnte Buch für die Leinwand adaptiert. Nicht so raffiniert-bannend wie in seinem letzten Regie-Eintrag „The Lookout“, aber wieder als Film Noir, diesmal mit Schlagtot Liam Neeson.
The Captive
DVD/BD-Start: 02.01.2015
Menschen, die zum Teil in selbst errichteten psychischen Gefängnissen leben, hatte Atom Egoyan in seinem vorangegangenen Werk, dem extra-faden „Devil’s Knot“ schon ins Zentrum gerückt – in Anlehnung an „Prisoners“, der diesmal noch deutlicher Pate stand (und seine Sache abermals besser löst). Ferner greift der Kanadier auf sein eigenes Themenspektrum zurück, bedient sich bei „Felicia, mein Engel“ und „Das süße Jenseits“.
Höhere Gewalt
Kinostart: 20.11.2014, DVD/BD-Start: 15.04.2015
Anleitung zum Unglücklichsein: Schwedens Auslandsoscarkandidat schickt eine Familie mit zwei Kindern in die französischen Alpen zum Skiurlaub. Ruben Östlund, der mit der Jugendbandenprovokation „Play“ schon aufreizend anstrengend sein Autorenfilmerimage profilierte, legt ein formal strenges Arthausdrama um eine Ehe nach, durch die seit einer Panikreaktion auf eine unvermutet bedrohliche Lawine ein Riss geht. Östlund nennt es ein „existenzielles Drama“, aber minimalistische Komödie wäre ebenso treffend. Oder Groteske. Respektive Satire.
The Immigrant
DVD/BD-Start: 28.01.2015
Die Tränen der Lady Liberty: Eine berührend melodramatisch-traurige Perspektive auf den amerikanischen Traum und den „pursuit of happiness“ wählt der für seine New Yorker Gangsterepen („The Yards“) berühmte James Gray, Sohn russischer Einwanderer, in einem Distrikt, wo Martin Scorsese seine „Gangs of New York“ zusammenrottete. In dem sensiblen, sanft sentimentalen Drama transportieren die klasse Darsteller viele Gefühle.
Omar
ohne deutschen Start
Wie Israel einen jungen Palästinenser in ein tödliches Spiel zwingt und damit dessen Leben und Liebe ruiniert, schlüsselt Hany Abu-Assad auf, der mit dem Selbstmordattentäterdrama „Paradise Now“ 2005 weltweit Aufsehen erregte. Das für den Auslandsoscar nominierte Schicksal schnürt mit belastender Bitterkeit und Straßenrealismus-Thrill die Kehle zu, wenn einem ganz normalen Teenager konsequent die Lebenslust genommen wird.
Jarhead 2: Zurück in die Hölle
DVD/BD-Start: 25.09.2014
Bevor nach 13 Jahren Einsatz die Amerikaner aus Afghanistan abziehen, wird es Zeit für eine abschließende Image-Kampagne der Streitkräfte, deren Teil diese Kriegs-Abenteueraction ebenso wie „Lone Survivor“ zu sein scheint. Statt Erlöser-Splatter zu zelebrieren, singt Don Michael Paul (Darsteller in „Die Insel“) das pathosgeschwängerte Lied von Tapferkeit und Opferbereitschaft, natürlich für die gute und gerechte Sache.
Guardians of the Galaxy
Kinostart: 28.08.2014, DVD/BD-Start: 08.01.2015
Überwiegend unterhaltsame Space-Opera-Komödie von James Gunn, der seinen rotzfrechen Humor aus Indiehits wie „Super“ in eine Tentpole-Produktion importiert und damit eine Art „Star Wars“-Fassung mit den Spelunkenkunden von Mos Eisley anzettelt. Statt Hard-SF à la „Battlestar Galactica“ steht das Comic-Fantasy-Action-Abenteuer eines bunten Haufens Egoisten an, die Teamwork lernen, auf rasante, verschlagene verschmitzt-witzige und selbstironische Art – also alles, was George Lucas’ zweite Sternentrilogie nicht war.
The Expendables 3
Kinostart: 21.08.2014, DVD/BD-Start: 22.12.2014
Immer wieder erstaunlich, wie auch die dritte Runde der Action-Verschleißfiguren ohne nennenswerte Eleganz und Klasse stupend kunstlos die Genreversatzstücke aneinanderreiht, ohne dass es dem Erfolg je einen Abbruch täte. Raffinessefreie Wochenkost, die mit den körperlich wunderbar zerschlissenen Actionheroen der Achtzigerjahre (und ein paar neueren) sich als Marke etabliert hat, ein Startreffen der Sölder-Buddys.
How We Got Away with It
ohne deutschen Start
Als TV-Schauspieler verdingt sich Jon Lindstrom vorwiegend in Soaps und Serien („General Hospital“). Mit seinem Regiedebüt vollführt er einen kräftigen Satz nach vorn im Prestige. Gemeinsam mit den beiden Hauptdarstellern Jeff Barry („Company Men“) und McCaleb Burnett („Fast & Furious 4“) schrieb und produzierte er in Rochester direkt am Ontario See ein leises Reunion-Drama, das durch einen dunklen Twist zum unterschwelligen Thriller (mit Lindstrom als Detective) reift.
Black Butler
DVD/BD-Start: 07.08.2014
Die Live-Action-Version von Yana Tobosos Manga-Reihe, die bereits zwei Animé-Serien und zwei Bühnenmusicals gebar, re-imaginiert das Franchise neu, was genauso grausam ist, wie es klingt, weil es weder bisherige Fans begeistert noch neue anspricht. Aus dem viktorianischen Schauer-London ist eine futuristische Fantasy geworden, aus dem androgynen Jungen ein Mädchen, Shiori Genpo (Ayame Gôriki, „Gatchaman“), Erbin eines Schlosses und durch einen Faustischen Pakt verbunden mit dem als ihr in schwarz gekleideter Butler auftretenden Dämon Sebastian (Hiro Mizushima, „Beck“). Nebenfiguren sind verschwunden, geblieben nur die übernatürlichen Fälle, nun in Asien anno 2020.