Amour transgressive: ein Mörderpärchen in einem fiebrigen Borderliner-Psychodrama mit True-Crime-Ambiente
Alléluia, Fabrice Du Welz, B/F 2014
DVD/BD-Start: 07.10.2015
Story: Als die von ihrem Mann verlassene Pathologin Gloria sich durch eine Partner-Annonce heillos in den Hochstapler Michel verliebt, lässt sie ihre Tochter bei einer Nachbarin und zieht mit dem manischen Verführer los, um dessen Heirats-Opfer, die er um ihr Vermögen erleichtern will, eifersüchtig zu zerstückeln.
Von Jochen Plinganz
„Alléluia“, der mit dem regengrauen Cop-Thriller „Colt 45“ zweite Output im Jahre 2014 des belgischen Extremfilmers Fabrice Du Welz („Vinyan“), ist eine krude Ode an zwei Sexualgewalttäter und verlagert die bereits mehrfach adaptierte Geschichte der Lonely Hearts Killers Martha Beck und Raymond Fernandez ins französischsprachige Europa – eine fanatische Psychopathen-Triebbeziehung in flirrend-grobkörniger 16mm-Rohheit.
Sacro GRA ist ein Autobahnring um die Ewige Stadt, das meist sehr banale Leben im Abgasgemisch und Verkehrslärm dort könnte kaum ferner vom Dolce Vita sein.
Eine lebensgefährliche Liebe in poetisch-morbidem Euro-Flair: eigenwillig schöne, berückende Indie-Horror-Romanze
Justin Benson, Aaron Moorhead, USA 2014
DVD/BD-Start: 24.09.2015
Story: Erschüttert vom Krebstod seiner Mutter und nach einer Kneipenschlägerei polizeilich gesucht, fliegt Evan kurzerhand nach Italien, um eine Auszeit zu nehmen. In einem malerischen Küstenstädtchen jobbt er als Bauerngehilfe und verliebt sich in die verführerische Louise, die ein mörderisches Geheimnis birgt.
Von Gnaghi
Man stelle sich „Interview mit einem Vampir“ im Stile von Linklaters „Before Sunrise“ vor; oder wenn Leos Carax „Lady Dracula“ von Jean Rollin adaptiert hätte – dann kommt man der poetischen Indie-Romanze mit dem erotischen Todeshauch von Tourneurs „Katzenmenschen“ schon näher. Justin Benson und Aaron Moorhead, die mit dem beunruhigenden „Resolution“ debütierten, bekennen in „Spring“: Liebe ist die seltsamste Kreatur.
Ein Fundstück: Von Eli Roth produzierter Body Horror um einen Mann, der zum kinderfressenden Monster mutiert
Jon Watts, USA/CDN 2014
DVD/BD-Start: 01.03.2016
Story: Als der Überraschungsclown absagt, zieht der liebende Familienvater und Immobilienmakler Kent ein solches Kostüm aus der Truhe eines leerstehenden Hauses an, um seinem Sohn eine Geburtstagsfreude zu bereiten. Nur um festzustellen, dass er es nicht mehr ausziehen kann und sich in eine Chimäre verwandelt.
Von David McAllan
Kein Scherz: Das Horrordrama um Dummo the Clown ist kein Slasher-Trash mit Killer-Kaspern, sondern eine tragische Transformation, die ihre originelle Ausgangsidee (fast) bis zum bitteren Ende intensiv und emotional sensibel ausführt, ohne Schrecken und Blutzoll abzukürzen. Die nicht kafkaeske, sondern dämonische Verwandlung basiert auf einem Fake-Trailer, den Jon Watts und Christopher D. Ford 2010 ins Netz stellten.
Tian jiang xiong shi, Daniel Lee, CHN 2015
DVD/BD-Start: 29.01.2016
Die in China so frequentierte Disziplin der Historienactionepen hat Daniel Lee („Black Mask“, „Three Kingdoms“) auf einen ergriffenen Nationalgesang um interkulturelle Freundschaft und soldatische Primärtugenden wie Loyalität und Opferbereitschaft angewandt. Jackie Chan schaltet trotz einiger tragikomischer Aspekte vorwiegend in den dramatisch-ernsten „Police Story“-Gang. Wie mehrfach erprobt, schmückt sich auch der Blockbuster „Dragon Blade“ mit Hollywoodgrößen – John Cusack („2012“) und Adrien Brody („Grand Budapest Hotel“) – zur besseren weltweiten Verwertbarkeit.
Das aufgesetzte Sequel zum SF-Roadmovie ist ein weitgehend uninteressanter Kriegsfilm wie aus aktuellen Nahostkonfliktherden
aka Monsters 2: The Dark Continent, Tom Green, GB 2014
DVD/BD-Start: 26.08.2015
Story: Zehn Jahre nach der Erstinfektion haben sich außerirdische Tentakelriesen im Nahen Osten ausgebreitet. Die Detroiter Jungs Parkes, Maguire, Williams und Frater werden im Rahmen einer Kriegsmission in der „Infected Zone“ stationiert und geraten beim Einsatz im Feindesland in einen Hinterhalt lokaler Warlords.
Von Max Renn
Ohne die Aliens, die sich meist als Schemen am Horizont tummeln, wäre der Nachfolger zu Gareth Edwards Low-Budget-Wunder „Monsters“ von 2010 nicht auszuhalten. Aus der hypnotischen Odyssee durch Mexiko ist beim britischen TV-Serienregisseur Tom Green ein Kriegsfilm geworden, der Mittelamerika mit dem Nahen Osten eintauscht, in aufdringlicher Kenntlichmachung der US-Einsätze in Irak und Afghanistan.
In der magisch-realistischen und liebenswert nostalgischen Fantasykomödie wird Adam Sandler rührend zum Pate einfacher Leute
aka Cobbler – Der Schuhmagier, Thomas McCarthy, USA 2914
DVD/BD-Start: 04.05.2015
Story: Der abgehängte Trott des jüdischen Schusters Max in seiner Klitsche der Lower East Side erhält schlagartig Schwung, als er im Keller eine wundersame Nähmaschine entdeckt, mit der er die Gestalt seiner Kunden annimmt, solange er deren Schuhe anzieht. Damit kommt er lokalen Kriminellen in die Quere.
Von David McAllan
So einfühlsam wie sein Indie-Debüt, die New-Jersey-Tragikomödie „Station Agent“, ist Thomas McCarthys vierter Regie-Job „The Cobbler“ zwar nicht. Seine Vorliebe für Sozialdramen mit Herz für den kleinen Mann äußern sich in einer Fantasykomödie zum Schmunzeln und Liebhaben, an der die US-Kritik kaum ein gutes Haar ließ, damit dem rührenden, topbesetzten Wunderspaß des magischen Realismus aber nicht gerecht wird.
Welp, aka Cub, Jonas Govaerts, B 2014
DVD/BD-Start: 24.04.2015
Folk-Horror-Masken sind derzeit der letzte Genre-Schrei (siehe „Blackwood“). Auch im ehrgeizigen Feriencamp-Slasher des Belgiers Jonas Govaerts versprechen sie im Verbund mit Kameraarbeit und 80er-Synthie-Leitthema wesentlich mehr, als der Thriller nach Schlitzermuster mit Horror-Touch halten kann. „Camp Evil“ (danke für diesen dummen „deutschen“ Titel!) hat kaum Gespür für Charaktere, kann sich in seine Kids nicht einfühlen wie Guillermo del Toro mit „The Devil’s Backbone“ oder „Pans Labyrinth“, und auch moralische Verwerfungen sowie die Faszination am Bösen nicht ausloten – wie Govaerts Landsmann Fabrice du Welz („Calvaire“), dem er offensichtlich nachstrebt.
Ins fahle Schummerlicht versenkter Nachfolger des Gruselhits – ohne Daniel Radcliffe, dafür mit viktorianischer Feinstofflichkeit und vollständig versammelten Klischees.
Ein heiliges Liebespaar in den Wirren eines emotional schockierenden, überhöhten Kriegsdramas um den Warschauer Aufstand 1944
Miasto 44, aka City 44 , Jan Komasa, PL 2014, DVD/BD-Start: 03.07.2015
Story: Stefan lebt in Warschau, das unter brutaler deutscher Besatzungsherrschaft steht. Im Sommer 1944 schließt er sich der Polnischen Heimatarmee an, die am 1. August ihren Aufstand gegen die Wehrmacht beginnt, von den Russen im Stich gelassen. Mit Ala versucht er das Gemetzel zu überleben.
Von Sir Real
Der Posener Jan Komasa schiebt nach seiner Doku „Warsaw Uprising“ ebenfalls 2014 die faktentreue Fiktion „City 44“ über den Warschauer Aufstand im August 1944 nach (nicht zu verwechseln mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943). Sein selbst geschriebenes Kriegsdrama ist das Äquivalent einer Splittergranate, die direkt vor einem krepiert und deren Schockwelle einen körperlich wie emotional mächtig umwirft.
Chris „Thor“ Hemsworth gerät auf der Jagd nach einer internationalen Hackergruppe in Michael Manns Thriller selbst ins Fadenkreuz der schießwütigen Terroristen.
Liam Neeson, der Ex-Charaktermime mit der Lizenz zum Prügeln, verhaut wieder alle, die seine Tochter anfassen – fürderhin die als Gangster wieder gefragten Russen.
Rasende Wut auf den deutschen Feind hämmert aus Brad Pitts Panzerrohr, eine brutale Desillusionierung vermeintlicher Befreier – außer in der unnötigen finalen Heldenverklärung.
Wagemutig sind unsere Autoren wie Astronauten auf fernen Welten durch die terra incognita des Cine-Universums gewandert und haben unbekannte Filmspezies gesichtet, katalogisiert und die eine oder andere davon vakuumverpackt mit auf die Erde gebracht … zum eingehenden Studium. ganzer Artikel
Arm und schön: romantisch-melancholisches Teenie-Crime-Märchen, ein sehnsuchtsvolles und nachdenkliches Aschenputtel-Melodram
Martin Weisz, USA 2014
DVD/BD-Start: 27.05.2014
Story: Die obdachlosen Teens Jonah und Kelly sind Strandräuber in Venice Beach. Sie quartieren sich in der Villa der Familie Silverman in Pacific Palisades ein; Kelly träumt von einer heilen Existenz, Jonah verhökert den Schmuck an einen gefährlichen Hehler. Bis die Eigentümer überraschend heimkehren.
Von Sir Real
Dem nach „The Hills Have Eyes 2“ zweiten US-Werk des Deutschen Martin Weisz („Rohtenburg“) wurde Eindimensionalität, Weltfremdheit und Klischeelastigkeit vorgeworfen. Zeit für eine Ehrenrettung von „Squatters“, einem stimmungsvollen, oft zärtlich inszenierten „Aschenputtel“ als White-Trash-Märchen um Sozialgefälle und Familientragödien, was als Teenie-„True Romance“ zum traumhaft besetzten Melo-Thriller wird.
Story: Der frisch ausgebildete britische Rekrut Gary wird 1971 in die nordirische Bürgerkriegsstadt Belfast versetzt, bei Ausschreitungen von seiner Einheit getrennt und von IRA-Terroristen durch die Straßen gejagt. Ohne genaue Ortskenntnis muss er die nächste Nacht überstehen, weiß nicht, wer Helfer, wer Verräter ist.
Von Thorsten Krüger
Die Explosivität des Konfessions-Konflikts Anfang der 1970er Jahre kulminiert im auf 24 Stunden komprimierten urbanen Überlebens-Thriller des parisstämmigen Serienregisseurs Yann Demange in seinem für den Goldenen Bären und den Europäischen Filmpreis nominierten Kinodebüt. „’71“ löst zwar nicht die Erschütterung von Paul Greengrass’ „Bloody Sunday“ aus, entlarvt aber die Unmenschlichkeit auf allen Seiten schonungslos.