Kinostart: 24.10.2013, DVD/BD-Start: 08.05.2014
Im Nachhinein wirkt „Jenseits der Stille“ wie ein wunderbarer Ausrutscher und der Auslandsoscar für „Nirgendwo in Afrika“ wie eine krasse Fehlentscheidung. Nicht, dass „Exit Marrakech“ ein schlechter Film wäre. Aber in ihm steckt ein richtig guter, der nur nicht heraus darf. So, wie der Junge aus dem Luxushotel, Kulturkolonialismus und der Kontrolle seines Erzeugers ausbricht, versucht auch die Story aus ihrem formelhaften Roadmovie-Entwurf auszuscheren.
Und in Ansätzen gelingt es: Sobald Ben die junge Hure Karima (phantastisch: Hafsia Herzi aus „Haus der Sünde“) trifft, könnte sich die holprig-steife Geschichte zu einem Amour-Fou-Abenteuer durch Marrakeschs Unterleib und die mystischen Mirakel aus Tausendundeiner Nacht entwickeln. Aber so verrucht ist natürlich kein deutscher Film. Sondern vielmehr proper, brav, spießig und bieder. Gott bewahre.
Bevor der Trip in die steinzeitlich-abgeschiedene Bergwelt des Atlasgebirges weitere muslimische Doppelmoral aufdeckt und den verwehten Spuren des einstigen Aussteiger- und Hippie-Paradieses nachspürt, endet die erratische Romanze schon wieder. Sie dient nur als Vorspiel für ein konventionelles Vater-und-Sohn-Drama. Marokko ist lediglich die Folie für ein, natürlich ganz ernsthaftes und lehrreiches, Coming of Age: Kein Kino mehr, sondern flache Fernsehdramaturgie.
Denn der deutschen Filmförderung und Drehbuchtugend muss Genüge getan werden. Da darf man nicht einfach haltlos herumfabulieren, sondern muss, unter großem psychologischen Geknarze, etwas Wertvolles über Verantwortung etc. abliefern, damit die Gremien ihre Gütestempel verleihen. Weil auch Geld aus Bayern fließt, hat Josef Bierbichler überdies einen immens irrelevanten Kurzauftritt.
Man könnte meinen, es läge unter der Würde einer Oscarpreisträgerin, banale Förderungsauflagen zu erfüllen, die das Gesamtbild empfindlich stören – anstatt mit Mut konsequent der eigenen künstlerischen Vision zu folgen. Aber davon ist nicht viel zu spüren. Sondern eine konzeptuelle Unentschlossenheit einer Regisseurin, die sich selbst und ihrer eigenen Bildsprache nicht traut. Oder gar keine hat. Schade.
Man muss nur mal vergleichen, wie zauberhaft atmosphärisch der ganz ähnliche „Cairo Time“ eine nordafrikanische Stadt um so viele Nuancen reicher und reifer erkundet. Und alles so viel besser macht. Da kann sich nicht nur Caroline Link eine dicke Scheibe abschneiden. Sondern der gesamte deutsche Film.