Kinostart: 03.10.2013, DVD/BD-Start: 21.02.2014
Seit Kubricks „2001“ hat keine Hard-SF mehr so viel Wert auf Physik, Faktentreue und Realitätsnähe gelegt, wie der quasi heute spielende Rücksturz ins All, in dem Sandra Bullock und George Clooney in vollständiger Schwerelosigkeit einen aussichtslosen Kampf gegen Zeit und Tod ausfechten. Ein packendes Himmelsspektakel sondergleichen, das die Optionen der digitalen Tricktechnik raffiniert nutzt, um sein Kino zu entfesseln und Konventionen weit hinter sich zu lassen.
Sieben Jahre nach seinem Meisterwerk, der Heiland-Dystopie „Children of Men“, meldet sich Cuarón endlich zurück und tanzt mehr denn je Walzer mit einer völlig losgelösten Kamera, die virtuell-virtuos in minutenlangen ungeschnittenen Sequenzen fern und nah an die Astronauten (bis zur Subjektiven) rast, dass einem schwindelt. Besser und sinnvoller kann man 3D nicht einsetzen.
Den fehlenden Ton des Vakuums in 600 Kilometer Höhe über dem Erdenkreis ersetzt ein Soundtrack, der das Elektronische mit dem Orchestralen verschmilzt und die katastrophale Kettenreaktion einer Trümmerwolke, die lautlos Shuttle und Besatzung durchsiebt, dramatisch unterlegt. Und eine Symphonie des Todes dirigiert, deren präzedenzlose Action den Atem raubt und bis zum Ende bannt.
Enjoy your last ride: Es ist die konsequente Anwendung physikalischer Gesetze, die den Orbitaltrip so restlos authentisch anmuten lassen. Jedes Detail ist sensationell echt: Die Dimensionen, die gigantischen Abstände und Geschwindigkeiten, die ungebremsten Drehimpulse. Alles trudelt in Nullgravitation bei extremen Lichtverhältnissen, dazu die Vibrationen der Konstruktionen von Space Shuttle, ISS, Sojus, Shenzou. Dahinter die Erdrotation, vor ihr das Bersten der Raumstationen beim Wiedereintritt in die Atmosphäre als rotglühende Meteoriten.
Unmittelbar erfährt man Hyperventilation, Atemnot, Hilflosigkeit. Die Panik, den rettenden Griff zu verfehlen und sich nirgends festhalten zu können, der chaotische Splitterbeschuss der wiederkehrenden Teilchenschauer, im Inferno von gewaltigen Kräften wie ein Spielzeug herumgeschleudert werden, sich in Schläuchen verfangen, wo das Leben wortwörtlich am seidenen Faden hängt: unbeschreiblich.
Cuarón wendet schlicht Murphy’s Law an: Was schief gehen kann, geht schief. Mit technischer Bravour entwirft er eine Todesgefahr nach der anderen. Ob Explosionen, Feuer, Fehlfunktionen, Kollisionen – ihre Abläufe ohne Schwerkraft sind einzigartig im gnadenlosen Wettlauf gegen die Zeit und schwindende Atemluft. Mehr Schweißhände-Thrill geht nicht. So viel Suspense kann Action entwickeln, wenn sie zwischen Klaustrophobie, Höhenkoller und Horror Vacui, zwischen Festklammern und Loslassen oszilliert.
Einen Strich durch die Rechnung dieser Zwei-Personen-Achterbahnfahrt machen gleichwohl die unpassend locker-geschwätzigen Hollywood-Dialoge und außerdem Clooney, der einfach er selbst ist und lässig-smart wie auf der Suche nach der nächsten Bar herumsurft. Dafür legt sich Bullock, als Hauptfigur fast immer im Bild, uneitel ins Zeug. Wie sie unter Druck und Handlungsnotstand versucht, die Nerven zu behalten, fesselt.
So avanciert das synthetische Handwerk, so arg hausbacken sind seine Tiefenpsychologisierungen. Und die metaphorische Ebene von Leben, Tod und Einsamkeit wandelt sich immer aufdringlicher in eine symbolreiche Wiedergeburt, ein Schöpfungs-Sinnbild, dem die flapsig-geistlosen Wortwechsel die mythische Wucht eines großen kosmischen Kreislaufes der Fruchtbarkeit rauben, in dem Bullock wie ein Amphibium bei der Evolution aus dem Wasser steigt.
Es ist ein langer Weg von „Apollo 13“ bis hierher. Doch Cuarón ist kein Tarkowski, Kubrick oder Malick, sondern will fesselnd unterhalten, wenn nötig mit einem – physikalisch einwandfreien – „Wall-E“-Zitat, dem Feuerlöscherflug. Ganz klar: ohne seine Stars wäre „Gravity“ noch ein Stück besser, als die berauschende Realzeit-Odyssee durch den erdnahen Weltraum ohnedies ist.
Überwältigendes Kino zum Staunen und das in gerade mal 90 Minuten, in denen es andere Blockbuster sehr alt aussehen lässt.
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