Todesengel

Fernab von Sci-Fi-Elementen setzt sich Andreas Eschbach so vielschichtig wie provokant mit Selbstjustiz und den Folgen von Gewalt auseinander.

Todesengel Cover

Andreas Eschbach, D 2013
Erscheinungstermin: 20.09.2013
Story: Als zwei Berliner U-Bahnschläger einen Rentner fast tot treten, erscheint ein strahlender Engel, der sie mit Kopfschüssen hinrichtet. Dieses Video wird dem Journalisten Ingo Praise zugespielt, der daraufhin mit der TV-Talkshow „Anwalt der Opfer“ zum Medienereignis wird. Denn der Racheengel hat viel Arbeit.
Von Thorsten Krüger

Ein diffiziles Sujet hat sich der Bestseller-Autor („Das Jesus-Video“) mit seiner nicht immer dazu passenden, flotten Schreibe nah am Boulevard ausgesucht: Aus den verschiedenen Perspektiven eines ganzen Ensembles untersucht er die verheerenden Auswirkungen von Gewalttaten auf das weitere Leben der Opfer und unseren rücksichtslosen Umgang damit in medialer und rechtlicher Hinsicht.

Inspiriert von aktuellen Nachrichten – U-Bahnschläger, Johnny K. und Dominik Brunner kommen sofort in den Sinn –, geht es vordergründig um einen vermeintlich übernatürlichen Rächer mit Superheldenkräften, also um Selbstjustiz – nur anders als in unzähligen US-Filmen dazu um weit mehr: um Zivilcourage, Gewaltbereitschaft, ein Rechtssystem, das Täter schützt, einen angemessenen Umgang mit Notwehr, Selbstverteidigung.

Scheuklappenfreie Debatte über ein Reizthema

Eschbach errichtet ein Mahnmal für die Opfer, vergegenwärtigt ihr Leiden so aufwühlend und ihr ungerechtes Schicksal derart emphatisch, das man sich regelrecht empört. Damit erreicht er einerseits eine klare Ansage gegen gesellschaftliches Wegschauen und juristische Milde – keine Toleranz für brutale Schläger! Aber er erschöpft sich beileibe nicht in solch simplen Botschaften.

„Ob einer gewalttätig wird oder nicht, hat doch nichts mit seiner Nationalität zu tun, sondern mit seinem Charakter“: Die Geschichte mag plakativ sein, mag konstruiert sein, mag auch nicht zu knapp polemisch ausfallen, mitunter recht salopp formuliert in einem leichtbekömmlichen wie leichtgewichtigen, massenkompatiblen Duktus. Und ihr Schluss ist ziemlich schrecklich.

Aber sie bietet brisanten Diskussionsstoff, der (mal mehr, mal minder) geschickt emotional manipuliert, um zur Auseinandersetzung damit zu zwingen, ob man mit Rachemorden sympathisiert. Das entfesselt eine scheuklappenfreie Debatte über ein hierzulande von falscher politischer Korrektheit mehr als verstelltes Reizthema. Freilich ohne Hetzrhetorik, sondern lediglich provokant in letztlich bravem Aufklärungs-Auftrag.

Äquivalent zu einem Essay über Gewalt

Wieder enthält ein Eschbach-Werk den Informationswert eines ganzen Seminars, nicht so intensiv wie in „Ausgebrannt“ oder „Eine Billion Dollar“, der ein komplettes Wirtschaftsstudium ersetzte. Aber was an Fachwissen leicht verständlich aufbereitet wird, war mir oft genug neu: Das Äquivalent zu einem Essay, der sich juristisch, psychologisch, soziologisch – und auf persönlicher Ebene – mit Gewalt auseinandersetzt.

Hinter diesem dankenswert vielschichtigen Ansatz fällt die Frage nach der Identität des Racheengels zurück. Auch die Thrillerspannung der im routinierten Cliffhanger-Stil verwrungenen, multiplen Erzählstränge bleibt unterentwickelt. Nie wird „Todesengel“ so finster-abgründig wie Neil Jordans „Die Fremde in dir“. Er überrascht vielmehr intellektuell, nicht zuletzt mit einer wunderbar nonkonformen Haltung zum Pazifismus.

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