Prisoners

Es geschah am helllichten Tag: Unheilvolle Thrillertragödie, die Glaube und Menschenwürde begräbt, biblische Todsünden hingegen düngt.

Prisoners Cover

Denis Villeneuve, USA 2013
Kinostart: 10.10.2013
Story: Als an Thanksgiving die kleine Anna und ihre gleichaltrige Freundin beim Spielen spurlos verschwindet, findet Detective Loki nur den geistig zurückgebliebenen Alex vor, muss ihn aber wieder laufen lassen. Für Annas Vater Keller steht fest: Alex ist der Entführer. Er verschleppt und foltert ihn für ein Geständnis.
Von Thorsten Krüger

An Lob für das abgründige Thrillerdrama des Frankokanadiers Denis Villeneuve („Die Frau, die singt“) mangelt es wahrlich nicht. Die Wandlung eines Familienvaters zum gnadenlosen Folterer ist vorwiegend Selbstjustizdrama, gemahnt an das moralische Dilemma des Daschner/Gäfgen-Falls und teilt Weltsicht wie diverse Plotmotive aus besonders abgründigen Klassikern von David Fincher, Clint Eastwood und Jonathan Demme.

Ein jeder brütet hier in seiner eigenen Hölle, ist Gefangener seiner selbst, ein Prisoner. Und darum geht es: Wie sich Menschen in Dämonen verwandeln. Wie sie einen Krieg gegen Gott vom Zaun brechen. Wie hinter der Maske des Vorstadt-Nachbars Bestien lauern. Das funktioniert so bestürzend glaubhaft, weil diese einsame Pennsylvania-Ortschaft so authentisch wirkt, die Personen so echt agieren.

Deprimierende Studie über das Mörderische am Menschen

Es regnet viel, ein kalter Novemberniederschlag, ohne Designmanier wie in „Seven“, dafür in nachgerade dokumentarischer Alltäglichkeit. Darin gedeiht ein zweieinhalbstündiges Low-Fi-Drama mit gelegentlichen „Das Schweigen der Lämmer“ entlehnten Thriller-Elementen, aber einer bedrückenden Atmosphäre des Unheils und einem moralischen Inferno wie in dem Schuld-Mahlstrom „Mystic River“.

Villeneuve nimmt sich viel Zeit, kriecht in einer Parallelhandlung zu wenigen düsteren Synthietönen durch eine von dramaturgischen Auslassungen zusätzlich ausgezehrten Winter-Agonie, in der die vierte Todsünde, vulgo Zorn und Rachsucht, gedeihen. Charaktere statt Effekte sind der Antrieb, was dementsprechend eine deprimierende Studie über das Mörderische am Menschen und seiner Zerrüttung ausbedingt.

Verbrechen ist ein menschliches Rätsel, für das es keine Lösung gibt

Diese Tragödie biblischen Ausmaßes, in der sich keine Götter, sondern gewöhnliche Bürger zerfleischen, ist sehr christlich-religiös geprägt: Permanent wird hier Gottes Beistand erbeten, Hugh „Wolverine“ Jackman als stämmiger Prepper, der vor Aggression birst, leidet wie ein Inquisitor, der seinem Folteropfer die Qualen ersparen möchte, aber nicht kann. Paul Dano hingegen gleicht einer Jesus-Passion von Matthias Grünewald.

Verbrechen ist ein menschliches Rätsel, für das es keine Lösung gibt: Dieses Einschrauben in humane Labyrinthe steht zwischen Krimipuzzle und finsterem Drama über das Ausbrechen der niedersten Instinkte. Ist aber letzten Endes doch weit konventioneller und lindernd gestrickt, als es sich zwei Drittel lang ausnimmt. Fast antidramatisch erzählt es Zuspitzungen nicht aus, dämmt damit Wucht, lässt unterkühltes Grauen zurück.

Die opake Konstellation wird zu sehr aufklärt

Was zur Allegorie tendiert, wo Giftschlangen statt Kindern gefunden werden, wo Verbrechen ungeklärt bleiben, weil der linkische Einzelgänger-Cop („Donnie Darko“-Jake Gyllenhaal) zwar solide, aber fehlerhafte Arbeit leistet, wo jeder der Täter sein könnte, wo die Folgen von Grausamkeit Körper und Geist verheeren – das schwenkt in erstaunlicher Inkonsequenz zu einer lapidaren, wenn auch immer noch genügend verstörenden Lösung, was diese opake Konstellation für meinen Geschmack zu sehr aufklärt. Deshalb: Ein guter Film. Aber kein großartiger.

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