Kinostart: 10.04.2014, DVD/BD-Start: 10.10.2014
Eine Stunde lang ist die Studie des in Warschau geborenen, ausgezeichneten britischen Regisseurs Pawel Pawlikowski, der zuletzt das poetische Coming of Age „My Summer of Love“ schuf, ein stilles, erschütterndes Meisterwerk, das jenseits narrativer Konventionen ohne Gefühlsdrang den Mord an den osteuropäischen Juden anhand eines bewegenden persönlichen Schicksals aus neuer Perspektive prägnant aufschlüsselt.
Pawlikowski, der mit fremden Augen auf die polnische Vergangenheit blickt, zeigt den Sozialismus in seiner repräsentativen Farbe: Grau. Sein stilistisch sparsamer Schwarzweißfilm in den Farben der Trauer ist im seltenen 4:3-Format entstanden, was die Beengtheit des Kommunismus und des Denkens jener Tage frappierend aufzeigt. Zwei konträre Frauen, eine Heilige und eine Hure, decken darin ihr trauriges Familienerbe auf.
Auf ihrer Reise in die Dörfer und die menschliche Kälte, die Schroffheit des Ostblocks, stellt die Regie den lakonisch-nüchternen Befund, das alle Juden ermordet wurden, kein Grab haben, vergessen und verschwunden sind, obwohl sie gute Leute waren. Ohne Schuldgefühle oder schlechtes Gewissen haben sich gierige Anrainer ihr Hab und Gut unter den Nagel gerissen und schlagen ungerührt unmoralische Geschäfte vor.
Wie nebenbei legt Pawlikowski die dreiste Heuchelei der katholischen Frömmler bloß, die Annas Eltern umbrachten und zugleich von ihr gesegnet werden möchten. Ihnen steht mit Wanda, einer pensionierten Richterin, eine resolute Alkoholikerin gegenüber, die stoisch-unerbittlich diese Verbrechen und Sünden aufdeckt, während ihre unschuldige Cousine mit schwarzen, wahrhaftigen Augen auf das verschwiegene Unrecht blickt.
Die Nachkriegsgesellschaft amüsiert sich und hat die hässliche Vergangenheit längst skrupellos verdrängt. Wenn heiliges Licht in lyrischen Momenten auf die Gesichter der opaken Figuren fällt, kann man nur vermuten, wie es hinter ihrer Stirn arbeitet. Der Verzicht auf Psychologisierungen und gängige Erzählstandards schafft Raum für Eindringlichkeit, wobei feste Kamerapositionen und Kadragen künstlerisch Klarheit offenbaren.
Dennoch bleibt der rege montierte Film beachtlich unschwer, sein Sujet ist es hingegen keineswegs: Bei den beiden Frauen, die als Asketin und Hedonistin, Spirituelle und Materialistin um ihre Lebensphilosophie ringen, beginnen charakterliche Verschiebungen, die vom Schädelfund der im Wald verscharrten Familie und einem bestürzenden Freitod katalysiert werden. Nach dem würdevollen Abschied wird der Film einsam.
Danach schlingert „Ida“ jedoch in 20-minütiger Antiklimax, wo eine zu rasche Montage distanziert und unbeteiligt um Identitätsentscheidungen kreist. Erst im von Bachs Musik verstärkten, emotionalen Ende erfasst Pawlikowski wieder die Essen des Lebens. Zusammen mit Wojciech Smarzowskis „Róza“ und Wladyslaw Pasikowskis „Aftermath“ werden damit zuletzt einige wunde Stellen polnischer Vergangenheit aufgearbeitet.