Kinostart: 06.11.2014, DVD/BD-Start: 28.04.2015
Mit landläufigen Stationen-Biopics und Genie-und-Wahnsinn-Dramen hat die Betrachtung der letzten 20 Jahre des britischen Malers William Turner (1775-1851) von Sozialfilmveteran Mike Leigh („Lügen und Geheimnisse“, „Happy-Go-Lucky“) wenig gemein. Sein Lieblingsakteur Timothy Spall, der Wurmschwanz aus „Harry Potter“, darf den zu Lebzeiten verfemten und schließlich verspotteten, heute eminent wichtigen Landschaftsmaler der Romantik und Vorläufer des Impressionismus hingebungsvoll als grunzenden Sonderling ausfüllen. Eine fabelhafte Schauspielleistung, deren tierische Laute mit Sicherheit noch für die eine oder andere Parodie sorgen werden.
Leigh skizziert schelmisch-verschmitzt ein schrulliges Trio (Turner, sein gleichgesinnter Daddy und die ergebene Haushälterin), wobei vortreffliche golddurchflutete Lichtstimmungen in dampfigen Szenerien selbstverständlich konstituierend für einen Meister des Lichts sind. Die mit Gusto und Gemächlichkeit arrangierten Stilleben in historisch akkurater Architektur und Ausstattung dechiffrieren nie den Menschen Turner. Nicht nur er bleibt unbegreiflich, auch weiß man nie, was Leigh eigentlich vorschwebt – ob er eine Satire auf Kunstkritiker und die Eitelkeiten des Kunstbetriebs unternehmen, nur mit stiller Komik die Malaise eines Exzentrikers anbringen oder gar das subtile Drama eines Kauzes aufgliedern will, womöglich mit parodistischen Ansinnen.
Somit wahrt Leigh auf 150 Minuten eisern seine Geheimnisse, verweigert seiner schleppenden Geschichte jede Straffung und röchelt wortwörtlich mit Mr. Turner dem Ende entgegen. Mimisch gewiss eine Offenbarung von Spall, der alle Widersprüche von verschroben bis gewandt, sensibel bis rücksichtslos zu einem knurrig-krummen Hund vereint. Der ignoriert mit Chuzpe seine Nachkommen, nutzt seine krätzegeplagte Dienstmagd sexuell aus, liebt eine alte Witwe, aber ehelicht sie nicht und lebt in seinem begüterten Londoner Haus mit Atelier von einem ansehnlichen Erbe. Ein Film der kleinen Tragödien, die leicht skurril am Protagonisten wie am Zuschauer vorüberziehen.