Kinostart: 12.01.2017
Zehn Jahre nach seiner letzten Regiearbeit „Apocalypto“ ist Mel Gibson wieder gesellschaftsfähig, seit ihn der Politische-Korrektheits-Mob gekreuzigt hatte. Seinen Rache-Auftritten als Darsteller in munteren B-Movies wie „Get the Gringo“ und „Blood Father“ folgt nun die Rückkehr zur Regie. „Hacksaw Ridge“ stellt klar: Gibson hat einen weiteren Jesus-Film in der Tradition von „Braveheart“ und „Die Passion Christi“ realisiert.
Als Teil der Heldenfilmwelle nimmt das auf Desmond Doss’ Biografie beruhenden Heiligenspiel eine Sonderstellung ein. Der Sanitäter erhielt als erster Soldat, der (aus christlichen Gründen) den Dienst an der Waffe verweigerte, die Medal of Honor, die höchste US-Tapferkeitsmedaille, weil er mindestens 75, wahrscheinlich aber rund 100 Kameraden, die zum Sterben zurückgelassen wurden, ohne fremde Hilfe vor dem sicheren Tod rettete.
„Hacksaw Ridge“ gliedert sich in zwei Etappen, die erste zeigt einen Beinahe-Brudermord als religiöse Kindheits-Erweckung, wo sich ein Täter zum Sanitäter wandelt. Der sensible Schönling, mit Hingabe von „The Amazing Spider-Man“ Andrew Garfield verkörpert, tritt im dörflichen Virginia als Spross von Siebenten-Tags-Adventisten auf. Ein Honigkuchenpferd im Schmalztopf. Man fragt sich ständig: Meint Gibson das wirklich ernst?
Ja, er meint es so. Sein Werk ist absolut unironisch, wie aus der Zeit gefallen. Da kann nur Desmonds alkoholkranker Vater, ein traumatisierter Weltkriegsveteran (großartig: Hugo Weaving, der Agent Smith aus „Matrix“) bewegen. In einer Variation des Ausbilder-Segments von „Full Metal Jacket“ gerät Desmond in die Militärmühlen und in Haft. Weil er nicht töten will, wird er wie ein Krimineller behandelt und sein Leben fast zerstört.
Wieso sich jemand, der ein guter Christ sein will, den Militärdienst überhaupt antut, dafür gibt „Hacksaw Ridge“ eigentlich keine hinreichende Erklärung – das erinnert stark an Cuba Gooding Jr. in „Men of Honor“. Man muss es so hinnehmen. Jedenfalls endet der Abschnitt mit einer Prinzipienschlacht vor dem Militärgericht. Aber das ist sowieso nur Vorspiel zum zweiten Akt, wo ein Heiliger in die Kriegshölle gestoßen wird.
Hat Gibson bis dahin statt inszenatorischer Coups vor allem Routine gezeigt, setzt er nun auf Kraftmeierei. Überwältigungskino mit Pathos und großer Pose ist angesagt, wenn er ins Gefecht zieht, das so furchterregend blutstarrend hyperrealistisch ist wie „Der Soldat James Ryan“. Kugeln, Schrapnelle, Flammenwerfer zerfetzen, perforieren und rösten Körper. Und mitten drin: Der selbstlose Wundertäter im Stahlgewitter. Respekt.
Denn tatsächlich berührt sein Einsatz, ob man will oder nicht. Es ist eben ein echter Mel-Gibson-Film – er braucht jemanden, den er als Messias verklären kann. Die Story ist dabei nur Mittel zum Zweck, gleichsam Exploitation: für ein Manifest des Glaubens. Soldaten wie Zuschauer werden Zeuge eines Wunders, das einen erzittern lässt. Gleichwohl wird dieses leidenschaftliche Evangelium zum Fetisch wie bei „Die Passion Christi“.
Die Message, überspitzt formuliert: Mit solch Heiligenschutz kann Amerika den Krieg nur gewinnen, da macht das Japsentöten gleich viel mehr Spaß. Gott mit uns, das Credo der Wehrmacht. Deus vult. „Hacksaw Ridge“ ist sich dieser Paradoxien nicht bewusst. Gut, dass er diese moralischen Fallstricke nicht entknotet. So bleibt er heldenhaft in einer unfassbaren Übersteigerung. Das imponiert, egal was man sonst davon halten mag.
Ähnlich mitreißend, nur zwei Klassen besser (und mit Hirn): Douglas Sirks „Battle Hymn“ (dt: „Der Engel mit den blutigen Flügeln“).
imdb ofdb
Und die unfassbare Energie und Hingabe von “Braveheart” schätze ich bis heute sehr.
Heldenkino kann der gute Mel Gibson. Da kann man sagen, was man will.