Authentisch-nüchternes Brüderdrama: ein Kammerspiel vor kalter Nordseeweite um ein Trauma, das keine Lösung kennt.
Florian Eichinger, D 2013
Kinostart: 23.01.2014, DVD/BD-Start: 15.08.2014
Story:20 Jahre, nachdem ihre Mutter den gewalttätigen Vater ermordete, kehren zwei Brüder ins leerstehende Elternhaus an der Nordsee zurück. Der vom Vater traumatisierte jüngere Volker, um es zu verkaufen, Marten, um die Familie wieder zu vereinen. Bei ihrem Ringen darum taucht Volkers verheiratete Jugendliebe auf.
Von Sir Real
Musik gibt es kaum in Florian Eichingers fast dokumentarisch-nüchterner Autorenfilmästhetik, aber zwei-, dreimal läuft das Schmerzlied „Halt mich“ von der Deutschgothband Lacrimosa – ein hochemotionaler Ausdruck jener unbewältigten Leiden, die sich auf indirekt-unsentimentale, aber durchaus aufwühlende Art in dem unspektakulär-zurückhaltenden Beinahe-Kammerspiel unter weitem, grauen Nordseehimmel artikulieren.
Ein empörender Mord: Das sensible Dokudrama um die letzten 24 Stunden des Oscar Grant bewegt und verstört.
Fruitvale Station, Ryan Coogler, USA 2013
Kinostart: 01.05.2014, DVD/BD-Start: 24.09.2014
Story: Der 22-jährige Oscar Grant verbüßte als Marihuana-Dealer eine harte Zeit im Knast. Nun versucht der mit einer Latina liierte Vater einer kleinen Tochter damit abzuschließen, verliert aber seinen Job. In der Silvesternacht 2008 gerät er mit Freunden an rassistische Polizisten, die ihn einfach erschießen.
Von Thorsten Krüger
Ryan Cooglers Sundance-Gewinner (großer Preis der Jury und Zuschauerpreis) ist keine ungelenke Propaganda oder konstruierter Betroffenheitsquark wie „L.A. Crash“, sondern das unbedingt nahegehende Porträt eines Gestrauchelten, der wieder Fuß zu fassen versucht und dann Opfer von abstoßender Polizeigewalt wird. Eine unsentimentale, einfühlsame und deshalb entsetzlich wirksame, beklemmende Tragödie.
Christian Schwochow, D 2013
Kinostart: 27.03.2014, DVD/BD-Start: 15.10.2014
Ein ostdeutscher Blick auf die BRD kommt zu einem wenig schmeichelhaften Befund in Christian Schwochows Drama über eine DDR-Emigrantin (abermals ein beachtlicher Auftritt: Jördis Triebel aus dem wundervollen „Meine Schwestern“), die mit ihrem jungen Sohn im Westberliner Aufnahmelager Marienfelde 1978 in die Mühlen der deutsche Bürokratie und vor allem der alliierten Geheimdienste gerät. Basierend auf dem autobiografisch geprägten Buch „Lagerfeuer“ von Julia Franck muss diese Nelly feststellen, dass Überwachung und Verdächtigungen exakt nach jenen Stasimethoden ablaufen, vor denen sie flüchtete.
Hochrangiges Historienabenteuer, das zwischen Orient und Okzident barbarische Religionen und wissenschaftliche Erleuchtung entdeckt.
The Physician, Philipp Stölzl, D 2013
Kinostart: 25.12.2013, DVD/BD-Start: 22.05.2014
Story: Nachdem eine im England des 11. Jahrhunderts noch unheilbare Krankheit seine Mutter hingerafft hat, schließt sich Rob, nun Waisenkind, einem fahrenden Bader an und hört vom orientalischen Wunderarzt Ibn Sina. Als junger Mann bricht er unter falscher Identität nach Arabien auf, um vom Meister zu lernen.
Von Thorsten Krüger
Philipp Stölzl, Regisseur des packenden Bergsteigerdramas „Nordwand“, gelang eine in deutschen Studios und Marokko entstandene, würdige Adaption von Noah Gordons gleichnamigen Historien-Weltbestseller aus dem Jahre 1986. Als saftiges Mittelalterepos mit allen Schikanen entwickelt die hochrangige Mischung aus „Die Säulen der Erde“ und „Agora“ vielschichtig Erhebendes über Glaube, Wissen und Weisheit.
Scheiterhaufen und Bombenkrieg: Das Coming of Age eines Waisenmädchens in Nazideutschland ist ein naiver Tearjerker.
The Book Thief, Brian Percival, USA/D 2013
Kinostart: 13.03.2014, DVD/BD-Start: 12.09.2014
Story: Kommunistentochter und Analphabetin Liesel kommt 1938 bei Pflegeeltern in Bayern unter, der keifenden Rosa und dem liebenswerten Hans. Sie lernt von gestohlenen Büchern lesen. Als der Krieg ausbricht, leidet die Familie unter Armut wie deutschem Fanatismus und versteckt einen jüdischen Flüchtling.
Von Jochen Plinganz
Dass aus Bestsellern automatisch Premiumkino werden muss, aber nicht automatisch gelungenes, beweist Brian Percivals Adaption von Markus Zusaks gefühlvollen Welthit: Ein „Tagebuch der Anne Frank“ für Beschränkte als unfassbar naiver Tränendrüsen-Schmalz zum Fremdschämen. Diese Dramödie nimmt ungelenkt wie „Der Junge im gestreiften Pyjama“ das Dritte Reich auf dem geistigen Niveau eines Kindes wahr.
Anspruchsvolle, aber ziemlich naive Arthaus-Politsatire, die in ihrer Heimat Italien mit Preisen überhäuft wurde.
Roberto Andò, I 2013
Kinostart: 27.02.2014
Story: Der umstrittene Oppositionschef Enrico verschwindet über Nacht spurlos: Er hat sich völlig ausgebrannt zu seiner einstigen Geliebten nach Paris abgesetzt. Die Parteistrategen indes entdecken seinen Zwillingsbruder Giovanni, der ihn doubeln soll und rätselhafte Moralpredigten hält, die die Nation begeistern.
Von Thorsten Krüger
Es reicht also, mal die Wahrheit zu sagen und mit der Bundeskanzlerin Tango zu tanzen. Und schon ist die Politik wieder menschlich und gerettet. Nur durch die dauerhafte Schädigung durch eine Plage wie Berlusconi, der Italiens Politikbetrieb komplett ruiniert hat, ist zu erklären, dass dieses satirische Schelmenstück zwölf Nominierungen und schließlich sechs Trophäen beim diesjährigen David di Donatello erhielt.
Das starke, fantasievolle Teen-Porträt in Gothic-Grundierung überwindet einfühlsam ein Geburtstrauma.
The Truth About Emanuel, Francesca Gregorini, USA 2013
DVD/BD-Start: 30.04.2014
Story: Emanuel trägt einen Jungennamen, ist aber eine schwierige 17-jährige, die noch immer am Tod ihrer Mutter im Kindbett leidet. Als sie für ihre neue Nachbarin Linda babysittet, entdeckt sie, dass deren Säugling eine Puppe ist. Sie spielt mit, denn Lindas Art hilft ihr. Die bizarre Situation hingegen birgt Konflikte.
Von Gnaghi
Was in eines Herzensgrunde liegt und geheilt werden muss, findet Francesca Gregorinis in Sundance nominierte, stilvolle Alternativ-Ballade seltsamer Gefühle auf sensible, eindringliche Weise heraus. Fast viktorianisch zart taucht sie in geheimnisvolle Halluzinationen und Vorstellungen einer Suburbia-Teenagerin ein, porträtiert dabei leicht komisch Familie und Umfeld, primär drei Frauen, aber auch drei Männer.
Story: Seit zwei Jahren spioniert der 17-jährige Palästinenser Sanfur für den israelischen Geheimdienst – ein Doppelleben, das jederzeit auffliegen kann und ihn in Gewissenskonflikte stürzt. Ebenso seinen väterlichen Verbindungsoffizier Razi, als die Armee Sanfurs Bruder tötet und auch den Jungen opfern will.
Von Thorsten Krüger
Live und aus unmittelbarer Nähe, was man sonst nur aus Nachrichten erfährt, schlüsseln der israelische Regienovize Yuval Adler und sein arabischer Co-Autor Ali Waked nach gründlicher Recherche auf: die lebensgefährliche Feldarbeit von Geheimdiensten und ihrer Informanten ausgerechnet im wenig biblischen Bethlehem. Dokumentarisch, unsentimental, ohne reißerische Ambitionen: ein realitätsnahes, komplexes Thrillergeflecht.
Starbesetztes Method-Acting-Drama, das respektabel, aber unsympathisch-publikumsfern vom Kampf gegen Aids handelt.
Jean-Marc Vallée, USA 2013
Kinostart: 06.02.2014, DVD/BD-Start: 14.07.2014
Story: Als den texanischen Cowboy Ron Woodruff 1985 die Hiobsbotschaft erreicht, binnen Monatsfrist an Aids zu sterben, ändert er seinen exzessiven Lebenswandel und findet in Mexiko in den USA nicht zugelassene Medikamente, die er mit einer Dragqueen im großen Stil über die Grenze schmuggelt.
Von Sir Real
In hartem, semi-dokumentarischem Tonfall und schmutzigen Bildern greift der Kanadier Jean-Marc Vallée („C.R.A.Z.Y.“) lose die wahre Geschichte von Ron Woodruff auf, um sie zu einem extrem unsentimentalen, mit trockenen Humor gewürzten Schauspieler-Drama zu verwandeln, das nie um die Publikumsgunst, sondern ausschließlich um Oscarnominierungen buhlt und Pharmaindustrie wie US-Behörden scharf kritisiert.
Folksongs und Trennungsblues: kleine, aber feine Independent-Ballade, die musikalisch einfühlsam Distanz überwindet.
Matthew Porterfield, USA 2013
Kinostart: 09.01.2014, DVD/BD-Start: 13.02.2015
Story: Nordirin Taryn ist von daheim ausgerissen und ungewollt schwanger. Sie nistet sich ausgerechnet bei Tante Kim und Onkel Bill in Baltimore ein, die sich gerade trennen und von den Problemen der just volljährigen Nichte nichts ahnen. Und Tochter Abby kommt dem Gefühlschaos auch nicht gerade bei.
Von Thorsten Krüger
Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss: Was andernorts in eine saftige Soap Opera über dysfunktionale Familien ausgeartet wäre, bleibt bei Matthew Porterfield („Putty Hill“) durch seinen fast vollständigen Verzicht auf narrative Konventionen, Plotpoints und Dramatisierungen eine kleine Indie-Studie über ein Every-Day-Life im Gefühlschaos. Unforciertes Kino der Distanz, die bald teilnahmsvoll schrumpft.
Tragikomisch und unendlich nahegehend arbeitet Stephen Fears mit Judi Dench die Verbrechen der katholischen Kirche in Irland auf.
Stephen Frears, GB/FR/USA 2013
Kinostart: 27.02.2014, DVD/BD-Start: 03.09.2014
Story: 50 Jahre, nachdem man der verstoßenen Schwangeren in einem katholischen Schwesternheim den 3-jährigen unehelichen Sohn in die USA verkauft hatte, erzählt Philomena Lee ihr tragisches Schicksal ihrer Tochter. Diese bittet TV-Journalist Martin Sixsmith, mit ihrer Mutter nach dem verlorenen Sohn zu suchen.
Von Sir Real
Die unbarmherzigen Schwestern: Wie Peter Mullan greift auch Stephen Frears, fast wieder auf der Höhe von „Dirty Pretty Things“, die Schandtaten unchristlicher Menschenquäler im Namen des Herrn auf, nur mit pointenreicher Komik, die doch nie die Tragik verhüllt. Wie in „The Queen“ fordert eine Schauspielgröße, diesmal Judi Dench („Skyfall“) im Duett mit dem faszinierenden Steve Coogan, zum Lachen und Weinen heraus.
Gediegene Komödie um das erst witzige Ringen um einen Disney-Klassiker mit anschließend rührseliger Kindheitsbewältigung.
John Lee Hancock, USA/GB/AUS 2013
Kinostart: 06.03.2014, DVD/BD-Start: 17.07.2014
Story: 20 Jahre lang wollte die Londoner Kinderbuchautorin P.L. Travers nichts von Walt Disneys Musicalversion ihrer „Mary Poppins“ wissen. In finanziellen Nöten erwägt sie nun den Rechteverkauf, treibt Disney und seine Mitarbeiter bei den Filmplanungen in Kalifornien aber mit tyrannischer Sturheit in die Verzweiflung.
Von Caroline Lin
Marc Forsters Märchen-Hymne „Wenn Träume fliegen lernen“ (um die Entstehungsgeschichte von Peter Pan) nicht unähnlich, betreibt John Lee Hancock („Blind Side“) das Gezerre um die Adaption des Buchklassikers „Mary Poppins“ als erst zänkisch-liebenswerte Culture-Clash-Komödie, um sodann in ernsthafter, „einfühlsamer“ Kinderheitstraumabewältigung sich der psychologisch-biografischen Deutung zu widmen.
Roland Reber, D 2013
Kinostart: 23.01.2014, DVD/BD-Start: 14.08.2014
Low-Budget-Indie-Versuchsanordnung von Roland Reber und seinem vor und hinter der Kamera seit „24/7 – The Passion of Life“ eingefleischten WTP Team, die in ihrem vierten Werk von quälend-abstrakter Künstlichkeit laientheaterhaft der menschlichen Belanglosigkeit den Spiegel vorhalten. Nur findet das auf HD Video gedrehte Ensemble-Kammerspiel um acht langweilige Charaktere außer sexuellen Fantasien nichts Aufregendes, sondern nur Halbgares, das nicht zu fesseln mag.
Starbesetzte Liebes- und Charakterdramödie, die humorvoll und bittersüß Beziehungen und Übergangsphasen Erwachsener beobachtet.
Enough Said, Nicole Holofcener, USA 2013
Kinostart: 19.12.2013, DVD/BD-Start: 18.04.2014
Story: Masseuse Eva ist geschieden und sieht mit Sorge ihre einzige Tochter zur Uni fortziehen. Sie lernt Albert kennen, der in der gleichen Lage steckt und verliebt sich. Als sich Evas Neukundin Marianne als Alberts Ex entpuppt und permanent über ihn lästert, hält Eva die Beziehung geheim, bis die Lüge auffliegt.
Von Thorsten Krüger
Die New Yorker Regisseurin Nicole Holofcener („Friends with Money“) hat mit der Finanzhilfe von Fox Searchlight die exakte Schnittmenge aus Hollywood-Liebeskomödie und Indie-Charakterdrama gebildet: Eine mit versierten Mimen besetzte Anleitung, wie man sich eine neue Beziehung erfolgreich ruiniert und zugleich die durch den Wegzug der flügge gewordenen Kinder aufklaffende Midlife-Einsamkeit bewältigt.
Sensibel, still, stark: Arthaus-Studie, die sich erst nüchtern einem Schulamoklauf nähert, um dann seelische Wunden ergreifend zu heilen.
Thomas Sieben, D 2013
Kinostart: 30.01.2014
Story: Mittzwanziger Roman jobbt von seiner Münchner Wohnung aus für einen Staatsanwalt, dem er Abschlussberichte auf Audio einliest. Die fehlenden Akten eines Schulmassakers im Allgäu muss er vor Ort abholen und fährt in die bayerischen Berge, wo er durch die Überlebende Laura mit der Tat konfrontiert wird.
Von Thorsten Krüger
Von wegen Amok auf der Alm: Ganz ohne Betroffenheitsgehabe, erregter Dramatisierung, Therapiegeseire und simpler Erklärungsmodelle entstand eine sehenswerte Auseinandersetzung, fast eine Meditation über ein seit Erfurt und Winnenden berüchtigtes Reizthema. Durch die Augen eines Fremden entdeckt das Low-Budget-Drama das Grauen, um es in einer heilsamen, verblüffenden Romanze zu überwinden.
Es geschah am helllichten Tag: Unheilvolle Thrillertragödie, die Glaube und Menschenwürde begräbt, biblische Todsünden hingegen düngt.
Denis Villeneuve, USA 2013
Kinostart: 10.10.2013
Story: Als an Thanksgiving die kleine Anna und ihre gleichaltrige Freundin beim Spielen spurlos verschwindet, findet Detective Loki nur den geistig zurückgebliebenen Alex vor, muss ihn aber wieder laufen lassen. Für Annas Vater Keller steht fest: Alex ist der Entführer. Er verschleppt und foltert ihn für ein Geständnis.
Von Thorsten Krüger
An Lob für das abgründige Thrillerdrama des Frankokanadiers Denis Villeneuve („Die Frau, die singt“) mangelt es wahrlich nicht. Die Wandlung eines Familienvaters zum gnadenlosen Folterer ist vorwiegend Selbstjustizdrama, gemahnt an das moralische Dilemma des Daschner/Gäfgen-Falls und teilt Weltsicht wie diverse Plotmotive aus besonders abgründigen Klassikern von David Fincher, Clint Eastwood und Jonathan Demme.
Kompromisslos brutale Anklage gegen die Sklaverei, die zu sehr auf die Oscars zielt, um nachhaltig zu berühren.
Steve McQueen, USA/GB 2013
Kinostart: 16.01.2014, DVD/BD-Start: 16.05.2014
Story: Der Schwarze Solomon Northup lebt als angesehener Bürger mit Frau und Kindern im Staat New York, als ihn trickreiche Menschenhändler entführen, in Ketten legen und mit anderen Leidensgenossen als Sklave nach New Orleans verschiffen. Dort warten auf ihn 12 Jahre unaussprechlicher Qualen.
Von Thorsten Krüger
Schonungslos demonstriert Steve McQueen („Shame“) mit unerbittlichem Historiensozialrealismus der gehobenen Art, was es bedeutet, ein Sklave zu sein und durch körperliche und seelische Folter entmenschlicht zu werden. Eine unsentimental naturalistische Anklage, eindringlich und authentisch gespielt. Ehrfurcht-Pflicht für Kritiker, eingebaute Oscar-Garantie, mutige US-Vergangenheitsbewältigung, Fall abgeschlossen?
Atombombe unterbricht Liebesglück: Lovestory und dystopisches Drama um ein von Kriegswirren getrenntes junges Paar.
Kevin Macdonald, GB 2013
DVD/BD-Start: 27.05.2014
Story:Als die 16-jährige Amerikanerin Daisy ihre Verwandten auf dem englischen Land besucht, verguckt sie sich in ihren Cousin Eddie. Ein wunderbarer Sommer beginnt, doch ein nuklearer Anschlag in London und die darauf folgenden Kriegswirren trennen das frisch verliebte Paar, das sich wiederfinden muss.
Von Sir Real
Kevin Macdonald („Der letzte König von Schottland“, „Sturz ins Leere“) ist zurück in seiner Heimat und widmet sich nach zwei Dokus einer sehr eigenen, nicht immer funktionierenden Mischung aus Sommer-Romanze, Kriegswirren-Drama und Raunen übernatürlicher Ahnungen. Auch die wie immer brillante Saoirse Ronan („Hanna“) hilft nur bedingt einer unrunden Geschichte, die durchaus traumhaft-magische Momente beschwört.
Die Queer-Version von „Belle de Jour“ ist eine ungeniert-erwachsene Sundance-Perle über feminine Identitäts- und Glückssuche.
Stacie Passon, USA 2013
Kinostart: 05.12.2013
Story: Eine Platzwunde am Kopf, verursacht von ihrem kleinen Sohn, ist Anlass für die lesbische Hausfrau und zweifache Mutter Abby, aus ihrer Vorstadtehe mit der frigiden Kate auszubrechen. Sie beginnt ein Doppelleben als Call Girl für Frauen und entdeckt Sinnlichkeit und Sinn jenseits ihres trivialen Alltags.
Von Thorsten Krüger
Für ihr spielerisch-leichtes und doch sensibel-tiefsinniges Indie-Drama um ein bizarres Doppelleben gewann Stacie Passon völlig zurecht den Teddy Award. Doppelbödig, mit boshaftem Dialogwitz und handfesten, jedoch nie expliziten Bettabenteuern, zeichnet die Entdeckung vom Sundance-Festival mit einer faszinierend-nuancierten Leistung von Robin Weigert („Deadwood“) die Sinnsuche in einer Midlife-Crisis nach.
Story: Kaum hat Krankenpflegeschülerin Asuka mit ihren Eltern und dem jungen Bruder einen verlassen wirkenden Apartment-Komplex in der Stadt bezogen, beginnen merkwürdige Vorfälle, die vom toten Nachbarn bis zum mysteriösen Spielplatzjungen reichen. Junghandwerker Sasahara hilft in eskalierender Gefahr.
Von Jochen Plinganz
Hideo Nakata, Erschaffer des revolutionären „Ring“, damit fast alleiniger Initiator der J-Horror-Welle und ungekrönter Schreckens-Tenno Nippons, recyclet vorwiegend eigene Motive zu einem soliden Geisterspuk. Was sich zunächst wie ein wenig motivierter Versatzstück-Verbund ausnimmt und ein stereotypes I-See-Dead-People-Szenario dichtet, wandelt sich zur durchdacht konstruierten Tragödie über Schuld und Trauer.
Das zarte Euro-Blinden-Drama schärft die Sinne und fördert die Vorstellungskraft, mäandert dafür mühsam episodisch.
Andrzej Jakimowski, PO/POR/FR/GB 2012
02.01.2014
Story: Der rätselhafte Blindenlehrer Ian übernimmt in Lissabon die Schulklasse in einem klösterlichen Privatinstitut und schockiert die konservative Leitung mit unorthodoxen Methoden. Seine Echo-Orientierung ohne Blindenstock kommt an, holt die menschenscheue Eva aus ihrem Kokon, ist aber auch risikoreich.
Von Thorsten Krüger
Jenseits der Stille: Die dritte Arbeit des Polen Andrzej Jakimowski, der sich mit „Kleine Tricks“ einen Arthaus-Namen machte, ist ein Tonfilm im wahrsten Wortsinn. Er setzt weit überzeugender als Fernando Meirelles „Die Stadt der Blinden“ in Lissabon die Wahrnehmungswelt Sehbehinderter als faszinierende Reise in das Reich der Töne und Geräusche, aber auch des Ertastens und Riechens um.
Unsentimental, von Poesie beseelt und tief berührend: Immigranten-Melodram in Venedigs Lagune um eine wunderbare Freundschaft.
Io sono Li, Andrea Segre, I/FR 2011
Kinostart: 05.12.2013
Story: Als Lohnsklavin Shun Li von der chinesischen Mafia von Rom in ein Café nahe Venedig versetzt wird, lernt sie beim abarbeiten ihrer Schulden den seit 30 Jahren dort lebenden kroatischen Fischer Bepi kennen. Li hofft ihren 8-jährigen Sohn freikaufen zu können und freundet sich mit dem verständnisvollen Poeten an.
Von Caroline Lin
Es geht ein kalter Wind, doch er erwärmt das Herz: Die Lyrik Qu Yuans, einem bedeutenden Dichter der chinesischen Antike, löst tiefe Gefühle aus in einem subtilen Freundschaftsmelodram, in dem Sozialforscher Andrea Segre dokumentarisch leisen Sozialrealismus mit neblig-trüben Stimmungsstillleben des der Lagunenstadt vorgelagerten Fischerorts Chioggia visuell wie narrativ fernab aller Postkartenklischees vereint.
Die subversive marxistische Meditation über Ausgebeutete in Tijuana hypnotisiert mit großem Stilwillen.
Jose Luis Valle, ME/D 2013
Kinostart: 12.12.2013, DVD/BD-Start: 01.07.2014
Story: Das Ex-Paar Rafael und Lidia hat seit Jahren kein Kontakt mehr, beide ackern aber Tag und Nacht stets zuverlässig für ihre Arbeitgeber. Als Lidias reiche Luxusschachtel stirbt und der Hund alles erbt, sowie Rafaels Firma ihm die anstehende Rente verweigert, holen beide zum Schlag gegen die Halsabschneider aus.
Von Thorsten Krüger
Das von meisterhaften Arthaus-Stil geprägte Spielfilmdebüt Jose Luis Valles, der 2009 die Papst-Doku „El milagro de Papa“ drehte, reiht sich in die Autorenfilmtradition seines Landsmanns Carlos Reygadas („Stilles Licht“) ein und gemahnt an die Mexiko-Arbeiten Luis Buñuels („Die Vergessenen“): Eine weise Kontemplation über Arbeiter, subversive Studie der Ungerechtigkeit und Farce um die Rache der Unterdrückten.
Endstation Sehnsucht: Woody Allens tragikomisches und schonungsloses Psychogramm einer mental gestörten Heuchlerin.
Woody Allen, USA 2013
Kinostart: 07.11.2013, DVD/BD-Start: 14.03.2014 (digital bereits ab 07.03.2014)
Story: Als ihr betrügerischer Investment-Gatte hinter Gittern landet, verliert das hochnäsige Luxus-Nervenbündel Jasmine alles und schlüpft bei ihrer proletarischen Adoptiv-Schwester, von der sie vorher nichts wissen wollte, in San Francisco unter. Hier sabotiert die alkoholsüchtige Zicke ihre Zukunft erst recht.
Von Max Renn
Cate Blanchett, die Galadriel aus „Herr der Ringe“, leistet in furios-manischer Manier wieder einmal Oscarwürdiges als selbstzerstörerische Society-Lady, die als Luxus-Stadtneurotikerin ihr eigenes Leben und das anderer ruiniert, bis sie als Irre auf der Parkbank endet. Komisch zwar, und auch satirisch, vor allem aber tragisch entwickelt sich daraus ein gestandenes Psychodrama. Allens Euro-Sightseeingtour ist definitiv beendet.